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Überschäumende Aufregung

Wohin nur mit all den Mirabellen, die der Baum im Sommer abwirft? Fermentation macht sie winterfit

„Fermentation, c’est la vie sans l’air.“ Fermentation ist Leben ohne Luft – der Ausspruch wird Louis Pasteur zugeschrieben, dem Mitbegründer der medizinischen Mikrobiologie. Pasteur, der gemeinhin eher für das Abtöten von Bakterien bekannt ist, beschreibt ein Verfahren, in denen er sie nutzt, um Lebensmittel haltbar zu machen. Unter Ausschluss von Sauerstoff wandeln Bakterien, Pilze und Enzyme dabei Kohlenhydrate zu Säure, Gasen und Alkohol um. Fermentation basiert darauf, ausgewählte Mikroorganismen unter den richtigen Bedingungen einfach mal machen zu lassen. Manchmal, wie bei der Laktofermentation, leben die richtigen Bakterien schon auf dem zu fermentierenden Gemüse oder Obst. Für die Herstellung von Joghurt, Kombucha oder Sauerteig hingegen müssen bestimmte Kulturen hinzugefügt werden. Fermentation ist die kontrollierte Version von Schimmel und Verderb.

Im vergangenen Sommer, der jahrelange Baumschnitt hatte sich gelohnt, trug der Mirabellenbaum im gemeinsamen Schrebergarten endlich Früchte. Viele Früchte. Niemals konnte man die alle essen. Ich hatte ein schickes Fermentationshandbuch geschenkt bekommen, von dem ich dachte, dass ich es immer nur anschauen, aber nie benutzen würde. Dann las ich das Rezept zu Lakto-Pflaumen und verstand, wie einfach Milchsäuregärung ist. Die meiste Arbeit ist das Vorbereiten und Entsteinen der Früchte. Und natürlich das Warten.

Die Praxis: Zu den halbierten Mirabellen füge ich 2 % ihres Gewichts an Salz hinzu und fülle sie in ein Einmachglas. Das Salz lässt Flüssigkeit austreten, in der entstehenden Salzlake arbeiten die Lactobacillales. Sie mögen es salzig, sauer, sauerstofflos. Die Früchte im Glas beschweren, sodass sie komplett von Flüssigkeit bedeckt sind. Ich warte. Als die ersten Blasen zu sehen sind, bin ich euphorisch. Die Mirabellen fermentieren etwas länger als zwei Wochen, sie schmecken jetzt süß, sauer und salzig. Anschließend getrocknet, bekommen sie eine ledrige Konsistenz und können direkt gegessen oder weiterverarbeitet werden.

Der Fermentationsaktivist Sandor Ellix Katz schwärmt vom „bubbly excitement“, von der überschäumenden Aufregung, die Fermentation ausmacht. Für ihn durchaus ein metaphorischer Vorgang: Fermentieren stehe für eine langsame, aber beständige Transformation, und die sei auch in der Gesellschaft nötig. Eine bereits vollzogene gesellschaftliche Veränderung sieht Katz in der Anerkennung, wie wichtig diverse mikrobielle Gemeinschaften für uns sind: Nicht alle Bakterien bedrohen uns, sie beschützen und nützen uns auch. Wir brauchen ein gutes Mikrobiom für eine gute Gesundheit.

Fermentation inspirierte viele Diskurse: Der Soziologe und Wissenschaftsphilosoph Bruno Latour beschrieb die massiven gesellschaftlichen Auswirkungen der mikrobiologischen Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Bakterien und Krankheit als „Pasteurization of France“. Der Food-Autor ­Sandor Katz und die Anthropologin Heather Paxson rufen hin­gegen, weil Bakterien für unsere Gesundheit wichtig sind, das post-pasteurianische Zeitalter aus. Wer weiß, möglicherweise war Pasteur sich selbst voraus.

Freia Kuper