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Das Brot, das auf Bäumen wächst

Kastanienkuchen mit Rosmarin: Ohne den Castagnaccio ist ein italienischer Winter nicht denkbar

Südlich der Alpen sind Maronen und Kastanien ein fester Bestandteil der Herbst- und Winterküche: gekocht und geschält als Beilage zu Wild, kleingeschnitten in Eintöpfen oder verarbeitet als Mus. Ein dünner, optisch nicht allzu aufregender Kuchen aus Kastanienmehl ist beliebt auf italienischen Herbstmärkten und gehört zu Kastanienfesten wie heiße Maronen zum Weihnachtsmarktbesuch. Erstmals erwähnt wurde der Castagnaccio in einem Kommentar über Rekorde, der zum Ende des 16. Jahrhunderts veröffentlicht wurde und die bemerkenswertesten und erstaunlichsten Dinge aus Italien und anderswo beschreibt. In diesem Aufsatz, dem Commentario delle più notabili et mostruose cose d’Italia et altri luoghi, wird über Bäcker Pilade aus Lucca und seinen Kastanienkuchen geschrieben. Ob Pilade auch das Rezept entwickelt hatte oder ob es schlicht das Dorfrezept der toskanischen nonne, der Großmütter, weitergab, ist nicht überliefert.

Umgangssprachlich werden Kastanien als Brot bezeichnet, das auf Bäumen wächst, wahlweise als Kartoffel des armen Mannes. Die Nussfrucht galt lange Zeit als ein Grundnahrungsmittel in den ländlichen Gegenden Italiens. Die Kastanienwälder der Toskana, des Piemont und des Apennin waren eine wichtige Nahrungsquelle für die ländliche Bevölkerung. Sowohl die gewöhnliche Esskastanie als auch die kleinere, herzförmige echte Marone, die genau genommen die Frucht der Edelkastanie ist, gehören zu den Buchenbäumen. Im Vergleich zu anderen Nüssen sind beide fettärmer, dafür aber auch stärkehaltiger. Kastanien und Maronen werden in Italien im Herbst von Hand gesammelt und aus dem piksigen Gehäuse befreit. Sie werden gedörrt oder bei schonender Wärme getrocknet, meist von Hand geschält und dann gemahlen. Das glutenfreie Mehl schmeckt leicht nussig, süß und wird in Italien auch farina dolce – das süße Mehl – genannt. Kastanienmehl gibt es in Deutschland im Reformhaus, in Bioläden oder auch im italienischen Feinkostgeschäft.

Wer den Castagnaccio mit Rissen und knuspriger Kruste mag, heizt den Ofen vor. Wird eine glatte Oberfläche bevorzugt, setzt man die gusseiserne Pfanne auf den Herd. Man vermengt 30 Gramm Rosinen und ebenso viele Pinienkerne mit 300 Gramm Kastanienmehl, zwei Esslöffeln Zucker und etwa einem Glas Wasser zu einem glatten Teig und verrührt den dann mit ein bis zwei Löffeln Olivenöl sowie einer Prise Meersalz. Wer es etwas süßer mag, kann auch klein gehackte Schokoladenstückchen hinzufügen. Zum klassischen Rezept gehört es, einen Zweig Rosmarin auf der Oberfläche mitzubacken oder die Nadeln eines Zweigs mit dem Teig zu verrühren. Nach Geschmack können auch Fenchelsamen oder Orangenschalenabrieb zugefügt werden. Der Teig sollte flüssig sein. Er wird zwei Zentimeter hoch in eine eingefettete, runde Backform gegossen und vor dem Backen mit Olivenöl beträufelt. Den Castagnaccio bei 180 Grad für 30 bis 40 Minuten backen. Die Backzeit in der Pfanne auf kleiner Flamme ist dieselbe. Der Kuchen bleibt beim Backen flach und wird relativ fest, aber saftig. Am besten schmeckt er lauwarm mit Ricotta und Honig oder Vanillesoße. Abgekühlt passen zum Castagnaccio auch Käse oder Schinken.

Nicole Paganini