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Reizüberflutung und Traumarchitektur

Die Ausstellung des aktuellen „Nominees“-Jahrgangs im Kunsthaus Hamburg ist reich an Inhalten und Formen, zeigt aber von allem etwas zu viel. Dafür fehlt der Mut zur Abstraktion

Von Falk Schreiber

Die Maschine ist ein Monstrum. Und das Monstrum lärmt. Steffen Goldkamps Film „Nach zwei Stunden waren zehn Minuten vergangen“ (2019) läuft auf einem riesigen, altertümlichen Filmprojektor, über mehrere Spulen rattert der 35-Millimeter-Film in das Gehäuse, und nach und nach zerkratzt das Celluloid.

Zu sehen sind dokumentarische Aufnahmen aus der Hamburger Jugendhaftanstalt Hahnöfersand, anonyme Bilder von jugendlichen Delinquenten, die zwischen Perspektivlosigkeit und Hoffnung irrlichtern. Junge Menschen werden dort in die Strafvollzugsmaschinerie eingezogen, wie der Film in die Projektionsmaschine. Manche freuen sich auf die baldige Entlassung, aber man sollte sich nicht zu früh freuen: „Nach zwei Stunden waren zehn Minuten vergangen“ ist ein endloser Loop, die Bilder, die den Projektor verlassen, fädeln sich unten wieder in die Filmrolle ein, und wenn man weiß, dass ein Großteil der Entlassenen in Freiheit bald wieder rückfällig wird, dann ist das fast zu viel an Symbolik. Es ist aber auch ein starkes Bild.

Goldkamps Film ist symptomatisch für die diesjährige „Nominees“-Ausstellung, die Präsentation der Be­wer­be­r*in­nen für das Arbeitsstipendium für bildende Kunst der Stadt Hamburg 2022 im Kunsthaus am Klosterwall. Einerseits beweist der 1988 geborene Goldkamp einen gleichzeitig affirmativen wie kreativen Umgang mit der Konvention, in diesem Fall des Dokumentarfilms, andererseits spürt man hier wie beim Großteil der 22 ausgestellten Künst­le­r*in­nen ein großes Interesse an Inhalten und an narrativen Formen. Und, das ist der Schwachpunkt der Präsentation: Die Exponate stehen sich gegenseitig ein Stück weit im Weg. Wenn Goldkamps Filmprojektor ohrenbetäubend losrattert, dann mag das das Gefangensein der Protagonisten in den Strukturen verdeutlichen. Es sorgt aber auch dafür, dass man sich nur schwer auf die Werke in der Nachbarschaft konzentrieren kann.

Das Kunsthaus ist mit seinen 500 Quadratmetern Ausstellungsfläche eigentlich ein großzügig bespielbarer Raum, allein: Mehrere der 22 „Nominees“-Künstler*innen arbeiten installativ, teilweise mit Sound und Bewegtbild, entsprechend wirkt die Ausstellung streckenweise etwas gedrängt. Was schade ist: Asana Fujikawas Installation aus „drei kleinen Geschichten“ namens „Apothekerin“ (2014–21), „Metamorphose – Waldmenschen“ (2016-21) und „Schriftstellerin“ (2021) bietet so viele Anknüpfungspunkte, dass man sich eigentlich verlieren möchte, in den Keramik­objekten, in den feinen Zeichnungen, in den Erzählungen, die durch Mythen und Bilder wabern und langsam die Präsentation durchdringen.

Nur gibt es in der Ausstellung nicht ausreichend Platz für Fujikawas mäandernde Kunst, ständig stößt sie an weitere Präsentationen, links Miriam Zadils Stickarbeiten (die als eine Art „Malerei mit Nadel und Faden“ ihren ganz eigenen Reiz haben), rechts an Seda Yildiz’ konzeptionell gedachte Installation „Slow Curating“ (2021). Und aus einem Kabinett dröhnt der Soundtrack zu Willy Hans’ Filmstudie in struktureller Gewalt und passiver Aggression, „Was wahrscheinlich passiert wäre, wäre ich nicht zuhause geblieben“ (2020). Reizüberflutung.

Wobei man das nicht falsch verstehen sollte: Dieser „Nominees“-Jahrgang ist ein reicher, und die Ausstellung bildet diesen Reichtum ab, die Formsicherheit von Film über Installation bis hin zu konventionelleren Arbeiten wie Stephanie Rachel Jacobs’ Fliesenmalerei, die die traditionellen portugiesischen Azulejos in eine objekthafte Kunst überführt. Aber das Gezeigte ist nicht nur vielstimmig, es ist auch im ganz einfachen Sinne wahnsinnig viel. Zumal die inhaltliche Ebene in diesem Jahrgang ebenfalls ein hohes Maß an Aufmerksamkeit verlangt.

Gleich mehrere Künst­le­r*in­nen werfen ihre eigene Person ohne Scheu in den Ring – Gulzat Matiskova mit dem Video „My Mother’s Wound“ (2021), das den eigenen Schmerz in der Beziehung zur Mutter verortet und hier etwas erzählt über Depression, Entwurzelung und Migration. Gezeigt wird die Arbeit in einem Wohnzimmerambiente zwischen Teppichen, Nippes und Sofa, sodass man sich in die Polster sinken lässt und eins wird mit der intimen Selbstentäußerung. Oder Mika Sperling, deren Serie „Mother Tongue“ (2020) die eigene Migrationsbiografie zwischen Sibirien, Viet­nam und Europa auf eine Familiengeschichte eindampft.

In manchen Werken möchte man sich verlieren, doch die mäandernde Kunst stößt überall an

Manche Künst­le­r*in­nen begegnen diesem biografischem Pathos mit forciertem Humor. Hien Hoang etwa, deren 3-Kanal-Videoinstallation „Asia Bistro – Made in Rice“ (2021) deutsche Klischeevorstellungen gegenüber ostasiatischen Kulturen (was hier vor allem Esskultur meint) auf die Schippe nimmt. Jil Lahrs alle Grenzen sprengende Rauminstallation, die sich am Ende auf die Sehnsucht nach einer Zigarette runterbrechen lässt – einerseits greifen Lahrs Objekte massiv in den Ausstellungsraum ein, selbst das Innere einer Trennwand wird bespielt, andererseits sind dann doch in erster Linie Kippen überall verteilt, kunstvoll zerknautschte Keramikkippen.

Oder Jessica Leinens „Palazzo Grezzo“ (2020), ein Durcheinander aus Rohren und Kanälen, irgendwo zwischen Bauruine und rätselhafter Schönheit, das Bezug nimmt auf Giulio Camillos Konzept des „Gedächtnistheaters“ aus dem 16. Jahrhundert. „Als Palazzo Grezzo werden in Italien Rohbauten verkauft, die vom Eigentümer geplant und begonnen wurden, jedoch nicht vollendet werden konnten“, erklärt die Künstlerin im Begleittext. „Die Option des Palastes bleibt ihr Versprechen.“ Traum­architektur.

Was diesen „Nominees“ fehlt: Mut zur Abstraktion. Anna Mieves stellt in „see the boys as they walk on by“ (2018/21) lackierte Lkw-Spoiler aus, ihrer Funktion enthobene Gebrauchsobjekte – das ist vielleicht eine kleine Flucht aus der hier immer präsenten inhaltlichen Verortung. Julia Malgut baut mit „Pool of Tears“ (2021) ein Billardspiel als computergenerierte Animation nach, die den Betrachter überraschend in eine klaustrophobische Architektur entführt.

Und Florian Bräunlich hat zur Eröffnung eine Schlagzeuginstallation mit Sven-Åke Johansson inszeniert, unter dem Titel „Safe Crash“ (2020–21). Von der am Ende nur noch Scherben übrigbleiben: zerstörte Reste des perkussiven Spiels mit Trommelstöcken aus Porzellan. Hier spürt man eine Lust am Formalen, die der manchmal übermächtigen Bedeutungsschwere der übrigen Exponate eine sinnliche Ebene gegenüberstellt. Und sei es nur, dass man den Kopf auch mal ausschaltet.

„Nominees“: bis 9. 1. 22, Kunsthaus Hamburg

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