kritisch gesehen: Mit Jutta Bauer durch den Lockdown
Jutta Bauer hat, während des ersten Lockdowns, ein Tagebuch geführt. Und sie hat es im Kibitz-Verlag unter dem Titel „Corona Diaries“ veröffentlicht. Das ist eine gute Nachricht. Denn Bauer ist eine wichtige Illustratorin. Kanonisch ist die Hamburgerin, spätestens seit sie 1997 mit „Selma das Schaf“ die von Aristoteles aufgeworfene Frage nach dem Glück letztgültig beantwortet hatte. Und Tagebücher von Künstler*innen sind das Beste, was diese sonst so dubios innerliche Gattung hervorgebracht hat.
Lieblingsbelege dafür sind Janice Lowrys Aufzeichnungen oder das „Diario“ von Frida Kahlo. Während unappetitliche Schreibhälse wie Ernst Jünger oder Paul Morand sich im Journal intime ihrer eigenen, nicht nur literarischen Potenz zu versichern versuchen, finden sich dort, wo das Bild als Gegenstand und Ziel der Reflexion die Wucherungen des Ich beschneidet, berückende Momente des Beiläufig-Visionären. Zufallssatte Montagen, selbstironische Skizzen, lose aufs Blatt getuschte Handlungsfolgen: Hier spricht das Unbewusste mit, hier ist das Ich, das sich zeichnet, nicht darum bemüht, sich als Heldin zu überhöhen, sondern nahbar. Aber eben in der Lage, den Alltag mit sich darin festzuhalten.
Bauers „Corona Diaries“ hatten eine Art Gegenbewegung zu den Antipandemie-Maßnahmen vollzogen, aber nicht um sie pseudokritisch infrage zu stellen, sondern um ihre Nebenwirkungen zu lindern. Während sich also alle wie wild drauflos digitalisierten, kramte sie Pinselset, Tusche und Aquarellkästchen hervor und verzichtete beim Zeichnen freudig auf Computerbearbeitung: „direkt auf Karton“, schreibt sie im Nachwort, „Flecke und falsche Nasen höchstens mit Deckweiß korrigierend“. Und während alle Läden dicht machten, öffnete sie sozusagen ihren Shop: Auf ihrer Homepage publizierte sie die Scans der ab 19. März 2020 entstandenen Tagebuchblätter. Ausgewählte Kommentare von Fans und Freund*innen hat sie ins Buch übernommen. Der witzigste stammt von ihrem Kollegen Ole Könnecke und ist selbst eine Zeichnung. Mit der hatte er am 29. April die Folgen eines Konstruktionsfehlers in Bauers Cartoon vom Tag davor maliziös vor Augen geführt. Pardauz.
Mal gibt’s ein einzelnes Kitschbild – Elphi im Abendrot –, mal ein assoziatives Spiel mit den Vorstellungen, die einzelne Hygienemaßnahmen wecken, mal eine deprimiert-birnenförmige Weigerung, irgendetwas zu machen, und mal eine wilde Ersatzhandlungs-Sequenz: Erfahrungen, die man so mit der Pandemie gemacht hat, ohne groß darüber nachzudenken. Mit ihren leichthändigen, lebhaften Bildchen müht sich Bauer nicht ab, deren tiefere Bedeutung zu ergründen. Damit genau ermöglicht sie ihren Leser*innen, diese selbst und für sich zu finden. Ein wirklich tröstliches Buch.Benno Schirrmeister
„Corona Diaries“: Jutta Bauer, Kibitz-Verlag, 96 S., 18 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen