Ausgehen und rumstehen von Undine Weimar-Dittmar: Die eiskalte Stille der Weihnachtsnacht
Schon am Tag vor Weihnachten fühlt sich alles etwas nach Stillstand an. Es ist, als ob Berlin sich auch mal Ferien gönnt. Ganz ruhig und fast schon anschmiegsam wirken die Straßen an diesem Donnerstagabend auf mich. Nicht so abweisend und rau, wie sie mich vor drei Wochen, als ich aus Freiburg in meine Heimat Berlin zurückkam, empfangen hatten. Damals kam mir kurz der Gedanke, der einem als echte Berlinerin eigentlich verboten ist – nämlich, dass es doch auch ganz schön sein kann, woanders zu leben.
Doch an diesem Abend vor Weihnachten fühlt es sich wieder so schön an, hier zu sein. Es liegt tatsächlich Schnee, als ich aus der Haustür trete – es schneit und schneit und kurz kommen sogar in mir Weihnachtsmuffel so etwas wie festtägliche Gefühle auf. Am Kottbusser Tor habe ich das Gefühl, irgendwas stimmt nicht, so wenig Menschen, wie hier unterwegs sind. Doch dann fällt mir wieder auf, dass sie alle die Stadt verlassen haben, all die Zugezogenen und Touristen.
Auch der Fuchsbau an der Kottbusser Brücke ist fast leer, wir sitzen trotzdem draußen, eingehüllt in Decken und halten uns am heißen Glühwein fest. Manche der Leute habe ich seit dem Abi nicht gesehen. Genau das ist es aber, was ich an Weihnachten dann doch mag, egal wo sie wohnen, alle kommen sie nach Hause. Und überall sind wir Berliner:innen mal wieder unter uns. Die Stimmung, die in diesen Tagen in der Stadt herrscht, ist schwer zu greifen. Es ist, als könnte die Stadt mal wieder atmen und eine Pause von der ewigen Coolness nehmen. Berlin kann mal wieder Berlin sein, ohne sich zu bemühen und verbiegen zu müssen.
Um uns herum schneit es fleißig weiter, und es ist, als würde der Schnee sich richtig anstrengen, Weihnachten anzukündigen. Später stapfe ich die Mariannenstraße runter Richtung Heinrichplatz und frage mich, wie ich auf die Idee kam, bei null Grad Turnschuhe anzuziehen. Mit nassen und verfrorenen Füßen komme ich im Elefanten an und bestelle ein großes Bier. Um halb eins machen sie tatsächlich zu, zu wenig los, sagt die Kellnerin, „dit lohnt sich wirklich nich“. Am nächsten Morgen wache ich trotzdem mit leichten Kopfschmerzen auf. So muss das an Heiligabend sein.
Nachts hatte der Schnee noch so pompös angegeben, doch als ich morgens aus der Tür trete, ist nichts mehr da, nur noch große Wasserpfützen. Weiße Weihnachten in Berlin, die gibt es nur im Bilderbuch.
In der U7 ist nicht viel los. Schick gemachte Menschen mit großen Tüten mit Geschenken und Blumensträußen in der Hand. Direkt daneben zieht sich ein Typ weißes Pulver durch die Nase. Neben ihm schläft ein anderer eingehüllt in eine Wolldecke, seine Schuhe liegen auf dem Boden. Die Unterschiede könnten nicht größer sein. Gerade ein Tag wie dieser zeigt die Gegensätze der Stadt so schmerzhaft auf.
Um 16 Uhr fahre ich durch die menschenleere Bergmannstraße, und es ist so still, dass ich die Schneeflocken, die sich mit Nieselregen vermischen, auf meiner Jacke und dem Boden aufkommen höre. Manche Häuser sind komplett dunkel, in manchen brennt vereinzelt Licht. Es ist fast etwas gruselig, wie still und leer es ist. In meiner Familie feiern wir dieses Jahr kein richtiges Weihnachten, mein Vater und ich sitzen bei heißer Schokolade zusammen und außer dass er die Kerzenpyramide herausgeholt hat, fühlt es sich so an wie an jedem anderen Nachmittag.
Um 23 Uhr stehe ich mit meinem Freund auf der Dachterrasse bei seiner Mutter in Treptow. Die Stadt liegt so still da, wie ich sie seit Langem nicht gesehen habe. Der Himmel ist vernebelt, der Fernsehturm leuchtet trotzdem durch die Wolken und für einen Moment steht die Zeit still. Vielleicht freue ich mich doch darauf, nach meinem Master zurückzukommen, in meine Hassliebe Berlin, denke ich und genieße noch einen Moment die eiskalte Stille der Weihnachtsnacht.
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