piwik no script img

Botschaften eines Verlustes

Die Ausstellung „Amada Verde“ im Studio des Hauses am Lützowplatz thematisiert das Verschwinden des Waldes in der Amazonasregion. Leider ist die Präsentation etwas lieblos

Flux, Filmstill, 2018, von Nathalia Favaro und Miki Yui Foto: Nathalia Favaro und Miki Yui

Von Tom Mustroph

Der Innenhof des Hauses am Lützowplatz ist recht idyllisch. Grüne Pflanzen breiten sich auf dem Boden aus. Auch die Fassaden werden von grün beblätterten Ranken erklettert. Angesichts des Themas der aktuellen Ausstellung „Amada Verde“ wird das karge Stadtgrün aber eher zum tristen Signal. Denn andernorts geht das Grün massiv zurück. Der Regenwald verschwindet in enormem Tempo. Laut Satellitenaufnahmen, die von der NGO Global Forest Watch ausgewertet werden, gingen in den letzten fünf Jahren 227.400 qkm tropischer Regenwald durch Abholzung und Brandverluste verloren. Allein 2020 waren es 42.100 qkm. Das ist mehr als die Fläche von Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen, die allein im letzten Jahr an Regenwald verlorenging.

Den Regenwald, der in der brasilianischen Amazonasregion noch da ist, besuchten Künst­­le­r*in­nen im Rahmen des Residenzprogramms Labverde. Sie traten dort sowohl in Austausch mit Einheimischen als auch mit Wis­sen­schaft­le­r*in­nen und Aktivist*innen. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Arbeiten werden jetzt im Rahmen der Ausstellung „Amada Verde“ gezeigt.

Die ist nicht unbedingt zugangsfreundlich. Die meisten Arbeiten sind Videos, die sich erst über längere Betrachtungsdauer erschließen. Man sieht in Miki Yuis und Nathalia Favaros Film „Flux“ unter anderem einen Fischer, der einen riesigen Fisch zerteilt und dabei Auskunft über traditionelle Fang- und Jagdtechniken gibt. Viel Grün ist hier, aber auch auf den an benachbarten Wänden montierten Monitoren zu sehen. Mal wird es durch wildere, mal durch von Tempo und Schwenkverhalten her gemäßigtere Kamerafahrten aufgezeichnet. Gelegentlich wird für Interviewpausen verharrt. Formal wird hier das Genre TV-Reisereportage bedient.

Interessanter Ausreißer unter den Videoarbeiten ist „the other planet“ von Tina Ribartis. Auch sie zeigt Grün, viel Grün sogar. Die Blätter und Stängel ließ die Wiener Medienkünstlerin aber digital errechnen. Ihr Regenwaldgrün ist Produkt von 3-D-Bildgebungsverfahren, die mit Originalaufnahmen gefüttert wurden. Ribartis greift hier auf eine mögliche Zukunft voraus, auf digitale Walderlebnisse – sei es als Alternative, um den echten Wald zu schützen, sei es als Simulation zur Erforschung von Umweltszenarien, sei es aber auch als trauriges Ergebnis einer Vernichtung im analogen Bioraum, das Walderlebnisse eben nur noch digital gestattet.

Auf eine Symbiose von Mensch und Natur haben es offenbar Amelia Prazak und Milda Lembertaité abgesehen. In ihrer Videoarbeit „Why Do I See What I Do Not See?“ ist eine Performerin zu sehen, die ihren Kopf an einem Baumstumpf reibt und auf ihrem Schädel, der grafisch bearbeitet wird und dabei selbst einem Baumstumpf gleicht, Jahresringe eingeprägt bekommt. Die Verletzung der Waldriesen durch menschliches Schneide­instrumentarium erfährt hier eine Übertragung auf den menschlichen Körper. Das ist im ersten Betrachtungsmoment so befremdlich wie eindrucksvoll.

Eine bessere ­­diskur­sive Rahmung hätte der Gruppen­schau gut zu Gesicht gestanden

Stig Marlon Westons verwaschen wirkende Papierarbeiten erschließen sich erst durch kuratorische Beipackzettel. Der norwegische Fotokünstler erweitert das Genre der Landschaftsfotografie durch den Einsatz von Fotogrammen. Er entnahm Boden- und Wasserproben und tauchte etwa Papier in Flusswasser. Er platzierte Fotopapier in Bäumen und testete so, wie viel Licht durchs dichte Blattwerk dringt.

Das ist formal zweifellos interessant. Es führt auch an Anfänge und Urformen der Fotografie zurück, als noch sehr experimentell mit Substanzen umgegangen wurde, um Bildeindrücke zu gewinnen. Weston scheint sich aber noch in einer Probierphase zu befinden. Über den Status von Resultaten chemischer Experimente gingen seine Arbeiten nicht hinaus. Auch die serielle Reihung brachte keinen entscheidenden Qualitätssprung.

Insgesamt wirkt die Ausstellung recht lieblos präsentiert. Natürlich, die Räume sind eng und verwinkelt, das erlegt dem Gestaltungswillen Grenzen auf. Eine bessere diskursive Rahmung, mit Künst­le­r*in­nen­­­bio­gra­fi­en etwa und einer Erklärung des Labverde-Residenzprogramms, hätte der Schau gut zu Gesicht gestanden. Auch eine Vorstellung der konsultierten Ex­per­t*in­nen aus Wissenschaft und lokalen Kontexten wäre sinnvoll gewesen. Denn die Art-Immersion-Programme von Labverde, die im Amazonasraum Kunst mit Wissenschaft und indigenen Perspektiven verknüpfen wollen, klingen zumindest auf dem Papier so anspruchsvoll wie empfehlenswert. Schade, dass das Ausstellungsprojekt das Potenzial nur eher karg aufzuzeigen vermag.

Haus am Lützowplatz, bis 30. Januar 2022

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen