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Giftmörder im Wohnzimmer

Kein Avon, aber Kultur: Die LiteraturLadies liefern Literatur frei Haus und stellen dabei Programme kleiner Verlage vor. Auch wenn es im Vortrag mitunter bei den französischen Adelsnamen holpert – das Publikum zeigt sich begeistert

Pizza, Fensterputzer, Avon-Beraterinnen. Man lässt sich ja heute fast alles nach Hause kommen. Warum nicht auch Literatur – und die Vorleserin gleich dazu? Die Berliner Kleinverleger Katharina Schäfer und Michael Luckmann haben aus der Antwort auf diese Frage eine Geschäftsidee entwickelt und ein Projekt gegründet, das gleich die ganze Republik mit literarischen Damen versorgen soll: die LiteraturLadies. Der private Raum als Bühne.

Das ist eine faszinierende Idee, wenn sie auch nicht unbedingt neu ist. Kleinere Theaterprojekte haben das immer wieder versucht. Und spätestens seit Michel Devilles Film „La lectrice“ oder Bernhard Schlinks „Vorleser“-Roman mag man gerade mit der intimen Lesung auch eine erotische bis perfide Romantik verbinden.

Das Konzept der LiteraturLadies ist allerdings gar nicht so romantisch. Schäfer und Luckmann halten sich lieber ans Pragmatische. Sie wollen für kleine Verlage eine Form der Präsentation entwickeln, mit der sich die unbekannten Programme vorstellen lassen. Wenn die Bücher schon nicht im Buchladen ausliegen oder in den Feuilletons rezensiert werden, dann kommen sie eben zum Kunden nach Haus und stellen sich persönlich vor. Die lesenden Ladys sind also vor allem eins: attraktive Vertreter im Direktmarketing.

Für drei Euro pro Zuhörer kann sich der Kunde aus einem Themenkoffer vorlesen lassen, der von den Veranstaltern aus den Programmen der beteiligten Kleinverlage bestückt wird. „Natürlich geht es nicht um eine Verkaufsveranstaltung.“ Diesen Vorbehalt will Luckmann ausräumen. „Auch wenn nach der Lesung die acht bis neun weiteren Bücher, die in einem Koffer sind, kurz vorgestellt werden.“

Eine recht eigenwillige Mischung also aus Kunst, Publicity und Blind-Date-Kitzel. Ganz ohne ist es ja auch für die Ladys nicht, mit einem Koffer voller Bücher in eine fremde Wohnung zu kommen, ohne zu wissen, was für Leser dort warten. Gerade hat in Berlin die erste kleine Show stattgefunden.

In einer Charlottenburger Altbauwohnung hat sich ein Kreis von Zuhörern versammelt, der Wein wird in langstieligen Gläsern gereicht, die Kerzen brennen in roten Lüstern. Dazu trägt die Gastgeberin einen langen schwarzen Seidenrock und eine silberne Halskette um das elegant hoch geschlossene Oberteil. Beim Eintreten meint man, einen Hauch von Boheme zu spüren, literature is coming home, vielleicht ist es aber auch nur die Sehnsucht nach den literarischen Salons vergangener Zeiten, die hier die Luft des Raumes etwas schwüler macht.

Die Lesung selbst entwickelt einen recht eigenwilligen Charme. Die Vorleserin, eine eher schüchterne Germanistikstudentin aus Halle, sitzt ein wenig eingeklemmt zwischen Fensterfront und den Resten des kalten Buffets. Sie ist fest entschlossen, die Geschichte einer französischen Giftmörderin aus der Barockzeit stimmungsvoll und deutlich zu artikulieren. Dass sie bei den langen französischen Adelsnamen holpert und ihr Akzent ein ums andere Mal durchbricht, scheint dem Premierenfieber geschuldet.

Die Zuhörer jedenfalls sind zufrieden, sie kichern bei den Schilderungen über verkotete Straßen und die Körper, die unter dicken Puderschichten ungewaschen sind. Aber auch in diesem Raum fehlt der klassische Lesungsbesucher nicht, der schon nach wenigen Minuten mit seinem Handy hantiert und nach einer Viertelstunde ins sanfte Dösen hinüberwechselt. Erst der warme Applaus weckt ihn wieder, die Leserin errötet leicht und nickt voll Dankbarkeit. Dann öffnet sich der Koffer, und die Blicke wandern wieder zum Buffet.

Als man am Ende des Abends wieder auf der Straße steht, ist man nicht ganz sicher, was für einer Veranstaltung man gerade beigewohnt hat. Für die Bunny-Nummer aus der Torte war es zu ernsthaft. Auch der Abend für die Tupperware war es nicht. Mit Kunst hatte das auch nicht viel zu tun. In einer Charlottenburger Altbauwohnung aber ist man stolz, dass die Literatur persönlich zu Besuch war. Bevor sie wieder ihre Koffer gepackt hat.

WIEBKE POROMBKA

Informationen und Buchungen unter www.literaturladies.de. Mögliche Themenkoffer u. a.: „Liebes Leben“ „Auschwitz heute“, „Querdenken“

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