„Verloren im System der Bewertungen“

Im Stück „Das Koks ist Fairtrade“ beschäftigt sich das Hamburger Ensemble „Hieb & Stichfest“ mit der widersprüchlichen Sinn- und Selbstsuche der Generation Y

Foto: privat

Kristina Mücke

32, ist Schauspielerin und Dramaturgin bei „Das Koks ist Fairtrade“ und neben Dominique Marino (Regie) Mitbegründerin des Ensembles „Hieb & Stichfest“.

Interview Robert Matthies

taz: Frau Mücke, wie kann Koks fairtrade sein?

Kristina Mücke:Das geht natürlich nicht zusammen. Wir spielen im Titel unseres Stücks auf ein Verlorensein in diesem ganzen System der Bewertung an. Es geht im Stück um den Begriff des Wertes eines Menschen, ums Humankapital und um den Selbstwert, um all die Kategorien, die heute zur Verfügung stehen, um Menschen zu bewerten. 90 Prozent der Texte stammen von den Darstellenden selbst. Wir sind alle Generation Y, sind zwischen 1983 und 1993 geboren, und spüren ein Hin- und Her-Geworfensein zwischen den permanenten Ansprüchen an uns, uns selbst zu optimieren, und dem Gefühl, eigentlich schon so ganz viel wert zu sein. Was verlangt der Job, was muss ich haben, wie sieht die Zukunft aus? Was steht mir zu? Sehe ich gut genug aus?

Man verliert sich zwischen den verschiedenen Bezügen, den wirtschaftlichen, philosophischen oder religiösen Bewertungsdiskursen?

Es gibt so viele Aspekte und Vorschläge, aus denen man wählen kann. Und wenn man sich für eines entscheidet, sind all die anderen auch immer noch da und widersprechen sich oft auch noch.

Sie beziehen sich im Stück auf Texte des französischen Mathematikers, Physikers, Philosophen und Theologen Blaise Pascal. Was kann uns ein Mann aus dem 17. Jahrhundert heute dazu sagen?

Ich bin in die Welt geworfen, aber ich weiß gar nicht, wer mich hier hingesetzt hat und was ich hier soll: Dieses Lebensgefühl drückt Pascal aus. Und seine Aussagen, dass das größte Unglück der Menschen allein daher rührt, dass sie nicht allein in einem Zimmer zu bleiben vermögen, sondern alles daran setzen, sich in Zerstreuung zu verlieren, das trifft den Nagel auf den Kopf. Auch heute tun Menschen die ganze Zeit etwas, um irgendetwas damit zu erreichen, oder konsumieren, damit sie sich nicht mit sich selbst auseinandersetzen müssen. Mit sich allein zu sein und zur Ruhe zu kommen, das lernt man dann erst in Schweigeseminaren.

Den Großteil des Stückes nehmen selbst geschriebene Texte ein. Um welche Erfahrungen geht es?

Viel ist durch kreatives Schreiben entstanden. Wir sind alle in diesen Bewertungssystemen sozialisiert und kommen da nicht raus. Im Internet werden Restaurants bewertet, ich bewerte meinen Dozenten, ich bewerte meine Schule. Im Fernsehen bewerte ich Menschen bei Big Brother. Dazu kommen Instagram und die dauernden Selbstvergleiche, also die permanente Erfahrung, von anderen in Schubladen gesteckt und in vereinfachten Kategorien bewertet zu werden. Und zugleich in diesem System zu funktionieren und andere in Schubladen zu stecken. Das Stück gibt so einen guten Einblick in das, was die Generation Y umtreibt, die Suche, was es denn nun sein soll, und das Ringen damit. Im Grunde ist es ein Generationenporträt.

„Das Koks ist Fairtrade“: Premiere heute, 20 Uhr, Hamburger Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23. Weitere Aufführungen Sa/So, 11./12. 12., 20 Uhr