die taz vor 18 Jahren über die verurteilung des „schlächters von lyon“, klaus barbie
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In Lyon wurde das Urteil gesprochen, die Höchststrafe verhängt. Niemand wird bei aller Skepsis behaupten wollen, daß die Geschworenen mit Klaus Barbie einen Unschuldigen für den Rest seines Lebens ins Gefängnis schickten. Aber es bleibt doch das Gefühl zurück, daß der Schuldnachweis, der dem Urteil zugrunde liegt, nicht in allen Punkten überzeugend geführt worden ist.

Mit seiner Prozeßkritik kommt der Beobachter aus der Bundesrepublik dennoch in eine schizophrene Lage. Er kann sich schlecht über Freisprüche und milde Urteile gegen Nazitäter zu Hause aufregen und dann die Stirn runzeln, wenn ein französisches Gericht einen Nazitäter zur Höchststrafe verurteilt. Aber er kann zu erklären versuchen, daß sein Unbehagen mit dem deutsch-französischen Verhältnis zu tun hat, das in die Problematik des Barbie-Prozesses hineinspielt. Während es in der Bundesrepublik bekanntlich von Nazitätern gewimmelt hat und man nur keine geeigneten Gesetze finden wollte, um ihre Taten angemessen zu ahnden, hat man in Frankreich seit langem über ein geeignetes Gesetz verfügt, allerdings keinen dafür geeigneten Täter gefunden oder finden wollen. Als dann der SS-Obersturmführer Barbie aus Bolivien angeliefert wurde, hat man der Versuchung nachgegeben, ihn zu einem Eichmann der Serie B aufzublähen, damit sich endlich der exemplarische Menschheitsverbrecher vorführen läßt.

Für diese Rolle ist Klaus Barbie zu klein, wenn auch kein Zweifel daran besteht, daß dem Gestapochef von Lyon Menschenleben nichts bedeuteten. Er war aber in seiner Funktion nichts anderes als ein regionaler Außendienstmitarbeiter der nationalsozialistischen Mordfabrik. Barbies Vorgesetzter in der Pariser Zentrale hieß Helmut Knochen, und der ehemalige SS-Oberst Knochen lebt frei in der Bundesrepublik, 1962 begnadigt von General de Gaulle – eine kleine Geste zum Gedeihen der deutsch-französischen Freundschaft.

Lothar Baier, 6. 7. 87