piwik no script img

Ethikerin über querdenkende Ärz­t:in­nen„Das Phänomen ist klein“

Einzelne Ärz­t:in­nen fallen mit Falschaussagen zu Corona auf. Die Medizinethikerin Julia Inthorn warnt davor, sie in den Vordergrund zu rücken.

Ohne Vertrauen geht hier nichts: Behandlungszimmer einer Hausarztpraxis Foto: Sebastian Kahnert/dpa
Teresa Wolny
Interview von Teresa Wolny

taz: Frau Inthorn, die niedersächsische Ärztekammer ermittelt gegen 50 Ärz­t:in­nen wegen Falschaussagen zur Coronapandemie. Dass es auch Ärz­t:in­nen gibt, die das Virus verharmlosen, erscheint absurd. Wie erklären Sie sich das?

Julia Inthorn: Das mag absurd erscheinen, ja. Die niedrige Zahl von 50 bei mehr als 40.000 Ärz­t:in­nen in Niedersachsen zeigt aber auch, dass diese Gruppe sehr klein und damit statistisch nicht auffällig ist. Wir müssen davon ausgehen, dass sich auch unter Ärz­t:in­nen gesellschaftliche Tendenzen widerspiegeln.

Ab wann kann oder muss Ärz­t:in­­nen die Approbation entzogen werden?

Zunächst ist es wichtig, dass dabei alles seinen strukturierten Gang geht. Dass also erst einmal geprüft wird, ob die Staatsanwaltschaft zuständig ist, ein berufsgerichtliches Verfahren angezeigt ist oder die Kammer das klären kann. Um welche Pflichten von Ärz­t:in­nen es dabei geht, wird in der Berufsordnung geregelt. Dabei muss man sich aber jeden Fall einzeln anschauen, denn ein Ignorieren der Maskenpflicht, gefälschte Impfzertifikate oder die illegale Impfaktion in Lübeck können nicht über einen Kamm geschert werden. Es ist ein Unterschied, ob man das Virus leugnet oder jemandem mit einem falschen Zertifikat einen Gefälligkeitsdienst leistet. Es gibt auch die Möglichkeit, abzustufen, die Approbation also zum Beispiel zunächst nur auszusetzen.

Was steht dazu in der Berufsordnung?

Ärz­t:in­nen haben bestimmte Pflichten, wie etwa die Schweigepflicht, denen sie nachkommen müssen. Darunter fällt auch die Qualität der ärztlichen Tätigkeit, dass also die Behandlung dem Rahmen des medizinischen Wissens entspricht. Natürlich gibt es auch die Freiheit des Arztberufes, aber die hat eine Grenze, wenn das Wohl der Pa­ti­en­t:in­nen oder die Gesundheit Dritter gefährdet ist.

Das klingt nach dem Hippokratischen Eid, der besagt, Kranken nicht zu schaden.

Bild: ZfG
Im Interview: Julia Inthorn

49, ist Direktorin am Zentrum für Gesundheitsethik an der Evangelischen Akademie Loccum. Sie hat Mathematik studiert und in Philosophie promoviert.

Ja, obwohl ich hier lieber vom Genfer Gelöbnis spreche, denn das ist, anders als der Eid, Teil der Berufsordnung. Auch das Gelöbnis beinhaltet das Wohlergehen und die Gesundheit von Patient:innen. Der Beruf des Arztes oder der Ärztin steht dabei für mehr als nur eine Dienstleistung. Es geht auch darum, das Ansehen dieser Tätigkeit zu schützen. Die Berufsordnung regelt auch berufsunwürdiges Verhalten. Auch da muss sich im Einzelnen angeschaut werden, ab wann das beginnt.

Sehen Sie das Ansehen von Ärz­t:in­nen aktuell in Gefahr?

Ich habe tatsächlich überlegt, ob ich dieses Interview überhaupt geben und damit diesem relativ kleinen Phänomen so viel Raum beimessen will. Wenn man jetzt behaupten würde, dass auch noch die Ärz­t:in­nen gespalten sind, besteht die Gefahr, all jenen, die gerade die riesige Last der Pandemiebewältigung schultern, in den Rücken zu fallen. Natürlich gibt es Fehlverhalten einzelner Menschen aus diesem Bereich, aber das große System der medizinischen Versorgung, dem ich sehr, sehr dankbar bin, funktioniert momentan sehr gut. Besonders da, wo es sich selbst kontrolliert. Das sehen wir im Fall der niedersächsischen Ärztekammer daran, dass eigene Problemfälle identifiziert und an die entsprechenden Lösungsstrukturen weitergegeben werden.

Halten Sie es für sinnvoll, wenn Ärz­t:in­nen kennzeichnen würden, dass ihre Behandlung auf den medizinischen Grundlagen beruht?

Im Gegenteil – wenn ich zur Ärztin gehe, muss ich das voraussetzen können! Nicht das Medizinische, sondern das Alternative muss als solches gekennzeichnet sein. Auch wenn ein Arzt nicht geimpft ist, muss das transparent gemacht werden. Das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin und Patient ist enorm wichtig, nur damit kann eine Behandlung gelingen.

Was ist mit den Ärzt:innen, die nur geimpfte Pa­ti­en­t:in­nen in die Praxis lassen? Ist das medizin­ethisch gerechtfertigt?

Das kommt auf die Gründe an. Wenn ich beispielsweise durch begrenzte Räumlichkeiten den Schutz der anderen Pa­ti­en­t:in­nen nicht mehr gewährleisten kann, ist das eine Sache. Problematisch ist es, wenn ich schlicht etwas gegen Ungeimpfte habe – denn ein Kennzeichen unseres Gesundheitssystems ist, dass es solidarisch ist. Gerade jetzt muss das unbedingt beibehalten werden. Diese Solidarität umfasst auch jene, die falsche Entscheidungen getroffen haben oder ihre Freiheit an der falschen Stelle ausleben.

Wie geht man im Bereich der Medizin mit so fundamental unterschiedlichen Weltanschauungen, wie sie etwa beim Thema Impfung zutage treten, um?

Für plurale Positionen gibt es in der Medizin mit Konferenzen oder Foren durchaus Orte, an denen sich der wissenschaftliche Diskurs weiterentwickeln kann. Dieser Streit darf aber nicht in der Arztpraxis passieren.

Ist diese Skepsis, die sich auch beim Thema Impfen zeigt, ein typisch deutsches Phänomen?

In anderen Ländern ist die Hoheit darüber, was als Heilbehandlung erlaubt ist, auf jeden Fall viel eindeutiger in der Hand der medizinischen Logik. Dem ordnet sich jede Ärztin mit alternativer Heilmethodik unter. Das ist in Deutschland anders und das hat seine Wurzeln auch in den 1930er-Jahren. Auch dass es hier den Beruf des Heilpraktikers gibt, ist eine Sondersituation. Eine aktuelle und breit diskutierte Studie der OTH Regensburg zeigt, dass es eine Korrelation zwischen Befürwortung von Homöopathie und Ablehnung der Impfung gibt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare