Politologe über Rot-Rot in Schwerin: „Risiko ist nicht ihr Ding“
Manuela Schwesig wird am Montag erneut zur Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Diesmal mit der Linken als Partnerin.
taz: Herr Muno, am heutigen Montag wird Manuela Schwesig zur SPD-Ministerpräsidentin gewählt, der Koalitionsvertrag in Mecklenburg-Vorpommern steht. Wie wichtig war das schlechte Ergebnis der Linken für die reibungslosen Verhandlungen?
Wolfgang Muno: Das war, glaube ich, ein entscheidender Faktor, der auch zur Beruhigung der Linkspartei beigetragen hat.
53, seit 2018 Professor für Politikwissenschaft an der Uni Rostock, wo er den Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre innehat und ständiges Mitglied der Arbeitsgruppe Wahlen in MV ist.
Zur Beruhigung?
Ja: Es gibt hier in MV ja ohnehin weniger Streitigkeiten in der Linkspartei als auf Bundesebene oder etwa im Saarland. Aber dass dieses schlechte Wahlergebnis überhaupt nicht thematisiert wurde, war auch für mich überraschend. Stattdessen hat man sich direkt bereit gemacht für die Regierungsbeteiligung. Dadurch war die Linke geschlossen und kohärent.
Das lässt sich von der CDU nicht sagen.
Nein, die versinkt weiter im Ungewissen und im Chaos.
Inwiefern weiter?
Im Grunde ist das ein Prozess, der mindestens seit zwei Jahren anhält: Der damalige Landesvorsitzende hatte von einem auf den anderen Tag aufgehört, dann gab es die Probleme mit Innenminister Lorenz Caffier …
… und der rechtsextremen „Nordkreuz“-Prepper-Truppe.
Das ist das bekannteste: Aber im Innenministerium gab es eigentlich ständig Probleme. Dann musste Caffier gehen, und man hat Philipp Amthor als neuen Vorsitzenden nominieren wollen. Der musste quasi verzichten aufgrund von – ich sag gerne Dummheit und Gier. Und im Endeffekt hatte man dann Michael Sack als Verlegenheitskandidaten aus dem Hut gezogen, der mit seinem schlechten Wahlkampf ein rekordschlechtes Ergebnis produziert hat. Woraufhin er jetzt zurückgetreten ist.
Also musste das alte Schlachtross Eckhart Rehberg wieder ran?
Der rot-rote-Koalitionsvertrag ist am Samstagnachmittag in Schwerin unterzeichnet worden. Zuvor hatte er beim Parteitag der Landes-SPD in Wismar die Zustimmung von 122 der 123 Delegierten erhalten; es gab eine Gegenstimme. In Güstrow hatten gleichzeitig 79 von 80 Linkspartei-Delegierte Ja zur SPD gesagt – bei einer Enthaltung. Markant sind die innenpolitischen Festlegungen der Vereinbarung, etwa zur besseren Kontrolle des Verfassungsschutzes.
Das Kabinett von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig wird mit vier Frauen und vier Männern paritätisch besetzt. Dem Wahlergebnis gemäß fallen zwei Minister:innenposten an Die Linke, die übrigen an die SPD. Die stellvertretende Ministerpräsidentin Simone Oldenburg wird als Bildungsministerin außer für Schulen auch für Kitas zuständig sein, die bislang durchs Sozialressort verwaltet wurden.
Bei den Landtagswahlen am 26. September hatte die SPD in Mecklenburg-Vorpommern Zugewinne deutlich über dem Bundestrend erzielt: Mit 39,6 Prozent erhielt sie 34 der 79 Sitze im Schweriner Schloss.
Erstmals unter 10 Prozent gelandet war Mecklenburg-Vorpommerns Linke. Die versucht anzuknüpfen an die Jahre der für sie – auch wahltechnisch – erfolgreichen ersten rot-roten Koalition unter Harald Ringstorff in den zwei Legislaturperioden von 1998–2006.
Nicht von ihrer Regierungsbeteiligung profitieren konnte die Nordost-CDU: Sie fuhr mit 13,3 Prozent ihr bislang schlechtestes Ergebnis ein. Seit 1990 hat sie damit exakt 25 Prozentpunkte Zustimmung verloren. Die AfD wurde zwar erneut zweitstärkste Kraft im Land, befindet sich mit 16,7 Prozent aber auch im Sinkflug: -4 Prozentpunkte.
Zugewinne zu verzeichnen haben neben der SPD auch Grüne und FDP. Anders als vor fünf Jahren gelang ihnen nun der Sprung über die Fünfprozenthürde – wohl auch ein Effekt der gleichzeitig stattfindenden Bundestagswahl.
Ja, das nennt man Zukunftsorientierung. Er ist aber nur Interimskandidat. Man will in den nächsten Monaten überlegen, wo es hingeht. Die CDU ist in einem Findungsprozess. Für Manuela Schwesig hätte das bedeutet: Sie wüsste nicht, mit wem sie es in den nächsten Jahren zu tun gehabt hätte. Das war ein starkes Argument gegen die CDU: Manuela Schwesig ist ohnehin sehr „risk-averse“, würden wir sagen. Also: Risiko ist nicht ihr Ding.
Und Die Linke ist vorhersehbar?
Man kennt sich einfach schon sehr lange. Das ist bestimmt auch ein wichtiger Faktor dafür gewesen, dass die Ampelkoalition wirklich gar nicht in Betracht gezogen wurde. Ganz neu, man weiß nicht, was sind das für Leute, was hat man von denen zu halten. Mit Simone Oldenburg weiß Manuela Schwesig genau, was auf sie zukommt.
Hat das auch damit zu tun, dass da zwei Frauen verhandelt haben?
Das scheint mir so. Es ist wirklich ein neuer Politikstil, der weniger Testosteron-bestimmt ist. Manuela Schwesig braucht sich nicht mehr zu profilieren, weil sie derart bekannt und beliebt ist, und Simone Oldenburg scheint auch nicht ständig auf den Putz hauen zu wollen. Offenbar vertrauen die beiden einander. Entsprechend schreibt der Koalitionsvertrag auch fest, dass bei Uneinigkeit in Bundesratsangelegenheiten die beiden separat darüber beraten sollen – mit dem Ziel einer Einigung. Ich glaube, das ist auch so gemeint.
Woher kommt der unbedingte Regierungswille?
Die Linke verliert seit Jahren kontinuierlich an Wählerstimmen, an Mitgliedern. Sie ist im Land völlig überaltert. Das Durchschnittsalter der Mitglieder in MV liegt bei über 67 Jahren.
Wow!
Das könnte eventuell sogar Bundesrekord sein. Das weiß die Partei natürlich. Und sie hat – ich vermute zu Recht – erkannt: Wenn wir weiterhin Opposition betreiben, versinken wir in der Bedeutungslosigkeit. Auch, weil sich die Landes-SPD sehr sozial gibt. Manuela Schwesig setzt ganz klar auf die soziale Schiene.
Das ist ein Problem für Die Linke?
Wenn auf der einen Seite eine soziale SPD steht und sich auf der anderen die AfD erfolgreich als Stimme der vernachlässigten Ostdeutschen aufspielt, wo ist dann noch Platz für Die Linke? Die Strategie hier in MV war, zu versuchen, wieder in die Regierung zu kommen, an Gestaltungsmacht zu gewinnen, um den Menschen zu zeigen: Wir sind noch wichtig.
Den Koalitionsvertrag hätte die SPD ganz ähnlich auch mit der Union schließen können.
Ja, schon …
… bis auf die Extremismus-Passagen, die Ankündigung, den Untersuchungsausschuss zum NSU fortzuführen und um den Nordkreuz-Komplex zu erweitern.
Das ist zweifellos ein Vertrag, der deutlich die Handschrift der SPD trägt. Das ist aber auch angemessen: Die SPD hat fast 40, Die Linke nicht einmal 10 Prozent. Aber schon im Wahlprogramm war ja deutlich, dass die beiden so weit nicht voneinander entfernt waren, auch im Gegensatz zur CDU: Ein wichtiges Anliegen der SPD war ein Vergabegesetz, um sicherzustellen, dass nur private Firmen, die auch Tarif zahlen, Aufträge des Landes bekommen. Da hatte die Union gemauert, mit der Linken war das völlig unproblematisch. Auch in den symbolischen Sachen, also der Änderung der Beflaggungsordnung, dass künftig die Regenbogenfahne an öffentlichen Gebäuden gehisst werden darf, und den Frauentag zum Feiertag zu erklären – darin kann sich Die Linke wiederfinden. Außerdem stehen das Schulessen für alle und die Kernforderung der Linken, die 1.000 Lehrerstellen, im Vertrag.
An der geplanten Umsetzung wird genörgelt!
Die 1.000 Lehrerstellen sind natürlich nicht 1.000 neue Stellen. Das wissen wir. Das sind Mechanismen der Personalverwaltung. Aber die Forderung ist in den Vertrag übernommen worden. Damit kann sich Simone Oldenburg hinstellen und sagen: Das ist unser Erfolg. Die Linke kann sich nicht beschweren.
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