„Alle kommen mit ihrer eigenen Geschichte an“

Eine Ausstellung und ein Hörspiel erzählen von der guten Nachbarschaft rund um die Bremer Schwankhalle

Foto: privat

Manuela Weichenrieder

47, ist Theaterwissenschaftlerin, Musikerin und Performerin. „Nachbarschaftsperspektiven“ hat sie gemeinsam mit Johanna Pätzold und Doris Weinberger erarbeitet.

Interview Paul Petsche

taz: Frau Weichenrieder, was verstehen Sie unter Nachbarschaft?

Manuela Weichenrieder: Neben der Schwankhalle in Bremen gibt es einen fantastischen Falafelladen. Da hängen wunderschön fotografierte Bilder aus dem historischen Damaskus, Moschee, Altstadtgassen. Und dazwischen Bilder vom Bremer Rathaus, vom Schnoor und vom Dom. Das beschreibt Nachbarschaft für mich so gut! Alle kommen mit ihrer eigenen Geschichte an und weben sie in die Nachbarschaft ein. Dieses Einweben ist eine riesige Bereicherung!

Sie haben eine Ausstellung über die Nachbarschaft um die Schwankhalle erarbeitet. Wohnen Sie selbst in der Umgebung?

Nein. Die Schwankhalle wollte sich einfach gerne während des Lockdowns um ihre Nach­ba­r*in­nen kümmern. Also hat sie meine Kolleginnen Johanna Pätzold und Doris Weinberger angefragt, ob sie Aktionen mit den Nach­ba­r*in­nen machen wollen. Die beiden haben mich dazugeholt und wir haben daraus unsere eigene Arbeit gemacht.

Was für Aktionen?

Am Anfang haben wir Briefe geschrieben und auf Rückmeldung gewartet. Die kam auch. Später haben wir Workshops, Gesprächsformate, Zufallsbegegnungen, Performances im Stadtraum und Spaziergänge mit den Menschen gemacht. Dabei haben wir Material gesammelt, Geschichten, Erzählungen. Wir sind ja bloß temporäre Nachbarinnen, deswegen sind wir total dankbar für die Offenheit, die uns entgegengebracht wurde. Viele Geschichten waren lustig, viele waren aber auch traurig. Es ging um Alltag und Einsamkeit, um Ankommen und das Finden von Gleichgesinnten. Das haben wir künstlerisch zu Skulpturen und einem Hörstück verarbeitet. Objekte aus dem Alltag, groß gezogen.

Zum Beispiel?

Sehr große Nüsse. Oder eine sehr, sehr große Orange und ein sehr, sehr großes Kartenhaus. Doris und Johanna bauen die Skulpturen aus Pappe. Wenn es regnet, sind sie vielleicht am Ende kaputt. Es gehört zum Konzept, dass sie eine gewisse Flüchtigkeit haben.

Wie sind die Nach­ba­r*in­nen der Schwankhalle denn so?

Nett! Total nett, total offen, total unterschiedlich. Es ist eine sehr diverse, sehr freundliche Nachbarschaft, die gerne kommuniziert. Auch per Brief und auch per Schokokugeln. Tatsächlich gab es nur einen Herrn, der keine Post mehr von uns wollte. Er meinte, er sähe das ein, für viele wäre das eine ganz tolle Idee, aber er brauche das nicht.

So harmonisch ist ja nicht jede Nachbarschaft.

Ausstellung und Hörstück „Nachbarschaftsperspektiven“: 9. bis 12. 12. im öffentlichen Raum um die Schwankhalle Bremen, Buntentorsteinweg 112/116. An vier Terminen führen die Nachbar*innen auch selbst durch die Ausstellung, Infos unter https://schwankhalle.de/nachbarschaft

Nein, klar. Die Grundfrage in jeder Nachbarschaft ist: Wie wollen wir leben und kommen wir darin überein? Die Nachbarschaft selbst zu gestalten, ist dabei auch ein politischer Akt. Aber natürlich gibt es Konflikte. Das Laub wird nicht gekehrt, die Musik ist zu laut und so weiter.

Ist Nachbarschaft nicht auch irgendwie spießig?

Nur das Wort und die Vorstellung davon. Nachbarschaft findet ja ständig und überall statt. Wir sagen Nachbarschaft, andere sagen die Hood oder der Kiez. In Bremen ist das Viertel als Viertel ja die Nachbarschaft gewordene Nachbarschaft.

Hatten Sie mit Ihrer Arbeit ein Ziel vor Augen?

Wir wollten Skulpturen aufstellen und ein Hörstück dazu machen. Wir machen Kunst. Ich reagiere immer allergisch, wenn ich nach Zielen gefragt werde. Kunst hat kein Ziel. Kunst kann aber viel bewegen. Wir wollen Menschen in Verbindung bringen, miteinander und mit unseren und ihren Gedanken. Aber das ist ein kunst-intrinsisches Ziel. Eher ein Sinn als ein Ziel.