Liebling der Massen
Uli Hannemann
: Abschottung predigen, obwohl man es besser weiß

Wie jeden Donnerstagabend sitze ich nach der Probe noch mit den Leuten aus meiner Volkstanzgruppe bei einer gemütlichen Tasse Tee zusammen. Es ist mild für die Jahreszeit, sodass wir noch draußen unter der Linde vor der Tanzgarage Wilmersdorf sitzen können.

Da krabbelt auf einmal ein Marienkäfer zwischen den Tassen herum. „Oh“ und „Ah“ machen die Tanzfreunde. Sie freuen sich offensichtlich über das angebliche Glückstier, sie finden es niedlich. „Der ist nicht süß“, fauche ich, „sind euch unsere Marienkäfer denn völlig egal? Was seid ihr bloß für Menschen? Macht den sofort tot!“

„Wieso denn?“ Einige lachen, obwohl ich dafür bekannt bin, keine Witze zu machen; andere wirken bestürzt. „Fieso denn?“ Ich äffe Sie nach. Sind die echt so ahnungslos, wie sie tun? Mühsam beherrscht bereite ich für sie die Fakten auf: Das hier ist ein asiatischer Marienkäfer. Ein Eindringling, ein Neozoon wie die grauen Eichhörnchen, die unsere roten aus dem Park mobben; die Waschbären, die unseren Dachs mit Frechheiten vergrämen; die amerikanischen Sumpfkrebse, die vom Berliner Tiergarten aus einen Siegeszug durch sämtliche Gewässer der Stadt antreten, bis sie in jedem Glas Wasser herumschwimmen und die Durstigen in die Nasen kneifen.

„Dieser Käfer hat klare Auslesevorteile gegenüber den autochthonen Arten: Zweipunkt-Marienkäfer, Siebenpunkt-Marienkäfer, Vierundzwanzigpunkt-Marienkäfer: uralte deutsche Marienkäferarten, wie man bereits am Namen hört. Und hier der asiatische: Die auffällige Zeichnung auf dem Halsschild wie ein großes M – M wie Mörder –, und eins, zwei, drei, vier … neunzehn Punkte. Das ist der Beweis! Die asiatischen Marienkäfer verdrängen erst unsere kleinen Freunde und zerstören dann die gesamte Flora und Fauna. Da lebt hinterher gar nichts mehr. Wie auf La Palma. Ihr kennt doch die Bilder …“

Die Tanzbrüder staunen. Doch die Belehrung scheint zu fruchten. Ihr Blick auf den Marienkäfer ist nunmehr frei von Sympathie. Der Tee macht fröhlich, ich stimme ein Lied an: „Deutscher Baum und deutsches Tier – schwarz-rot-gold, ich steh zu dir …!“

Ich erhebe mich, um mir drinnen einen neuen Jasmintee zu holen und bei der Gelegenheit auch drei wegzubringen. „Wenn ich zurück bin, ist das Vieh weg“, sage ich nicht ohne Schärfe. Anders geht es nicht. Auch mir macht es keinen Spaß, ein Tier zu töten. Aber es muss sein. „Für die heimische Tierwelt!“ Dann gehe ich hinein.

Die machen das schon. Dabei setze ich vor allem auf den einen Tanzkameraden, der immer über „Rassismus und Sexismus gegen weiße Männer“ klagt. Wer derart engagiert für die unterdrückte Kreatur unterwegs ist, wird sich auch für andere bedrohte Arten einsetzen, deren ökologische Nische schwindet, weil die Evolution ihnen eine lange Nase dreht.

Das wäre nur konsequent. In ihm weiß ich einen verlässlichen Verbündeten gegen alle invasiven, volksfeindlichen und widernatürlichen Einflüsse wie Feministinnen, Transsexuelle und Asiatische Marienkäfer auf meiner Seite.

Exakt so funktioniert der intellektuelle Faschismus: Aggressive Abschottung predigen, obwohl man es im Grunde besser weiß. Denn die robusteren asiatischen Marienkäfer sind für die Bekämpfung von Schadläusen tatsächlich weit geeigneter als unsere sensiblen Käferchen. Der neutralen Natur ist es eh wumpe, welche Punkt-, Haar- oder Augenfarbe die Marienkäferin hat, die mit dem Schutz ihrer Pflanzenwelt betraut ist. Und letztlich profitiert ja auch der deutsche Halm davon, wenn ihn im Alter ein asiatischer Marienkäfer pflegt. Vielleicht verspürt der alte Lauch am Ende doch noch etwas Dankbarkeit.