Von wegen Gerechtigkeit

In ihrer schwarzen Komödie „Jeeps“ stellt Nora Abdel-Maksoud das Projekt Umverteilung mittels einer Erblotterie auf die Probe. An den Münchner Kammerspielen hat sie das kluge und knallkomische Stück nun selbst inszeniert

Jeeps: Vincent Redetzki als Gabor Farkas Foto: Armin Smailovic

Von Sabine Leucht

Gabor ist es müde zu erklären: Es ist kein Jeep, sondern ein Geländewagen, der da auf seinem angestammten Parkplatz steht. Vor dem Jobcenter, wo er arbeitet. Und wo Armin, der sich für seinen Vorgesetzten hält, ihn wegen seines Autos mit „Kleine-Penis-Witzen“ terrorisiert. 13 Jahre lang hat Gabor auf seinen Mercedes G 400 D gespart, den die Hartz-IV-Königin Maude dem Publikum als „schwarz glänzende Schaumkrone des Spätkapitalismus“ vorstellt und der an diesem Abend an den Münchner Kammerspielen in die Luft gehen wird. Gabor läuft deshalb am Ende Amok: Er heftet die Lose mit den höchsten Gewinnen den Kindern aus Halle C an. Capisce? Nein?

Um zu verstehen, was das bedeutet, muss man folgendes wissen: Wir befinden uns in einem Deutschland, in dem die regierende FDP sich auf den Bedeutungskern des Begriffes „Leistungsgerechtigkeit“ zurückbesonnen und die „Eierstocklotterie“ des Erbens durch etwas ersetzt hat, was die Jungunternehmerin Silke „Erbwichteln“ nennt: Alle potenziellen Erbschaften, große, marginale wie negative, werden staatlicherseits eingesammelt und neu verlost. Die Lose verwaltet ausgerechnet das Jobcenter, in dem seitdem eine explosive soziale Mischung herumlungert: in Halle A die aufgebrachten Enterbten, die auf eine zweite Chance warten und derweil ihren Warteraum mit trendy Food-trucks und Boulderwänden möblieren. In Halle C die Kinder der Hartz-IV-Empfänger, die Armin „Opferwürste“ nennt. Weil es so viele geworden sind, hat man sie gebeten, aus Platzspargründen ihre Kinder zu schicken. Und der Herr über die Beantragung von Losen ist Gabor Farkas: gesichtsblind, unbestechlich – aber eben auch Jeep-, äh: Geländewagenfahrer.

Nora Abdel-Maksoud hat eine bitterböse Komödie über eines der Themen der Stunde geschrieben, das derzeit Mil­lionen­erben, Politiker und Wirtschaftswissenschafler beschäftigt: die Verteilungsgerechtigkeit, die mit großen Erbschaften immer mehr aus dem Lot gerät und nach einer Reform des Erbrechts verlangt. Um die 400 Milliarden Euro werden in Deutschland pro Jahr vererbt, jedes fünfte Kind lebt in Armut, und der Hartz-IV-Regelsatz für Bildung liegt bei 1,12 Euro pro Person und Monat.

Da hat Abdel-Maksoud gut recherchiert, die als Regisseurin ihres eigenen Stückes keine große Illustrationsmaschinerie auffährt. Sie verlässt sich weitgehend auf ihren bösen, klugen und mit all seinen Rückblenden ohnehin schon komplexen Text – und auf die immense Schlagabtauschfähigkeit ihrer vier Akteur*innen: Vincent Redetzki als stoischer Gabor, Stefan Merki als glatter Entertainer-Typ Armin, Gro Swantje Kohlhof als zwischen Trauer, Hysterie und Bosheit pendelnde enterbte Jungunternehmerin Silke („Laptops in Lederhosen“) und die mit Wortfindungsstörungen und Grandezza geschlagene Maude von Eva Bay, die permanent die Kesselflicker und Lords Henry Fontleroys aus den Groschenromanen zitiert, die sie früher geschrieben hat.

Erbwichteln dank FDP: Alle poten-ziellen Erbschaften, große, marginale wie negative, werden staatlicher­seits eingesammelt und neu verlost

Diese vier finden auf der Vorbühne des großen Hauses der Kammerspiele Platz. An ihrer Seite nur der Musiker Enik und seine Drums. In der tellerlinsengrauen Wand dicht hinter ihnen – Schauplatz ist die Behörde – schenken zwei Drehtüren der Umverteilungs-Farce mit Krimi-Elementen zwei, drei handfeste Boulevardkomödienszenen. Einmal geht Armin die Wand hoch, zweimal wird gemeinsam gesungen und/oder gestampft. Sonst ist szenisch kaum mehr los, als dass jeder sich seine Wortmeldungen erschnipst, woraufhin die Rest-Szene erstarrt. Das war’s. Und das genügt! Wir müssen nicht sehen, wie die Kinder der „Opferwürste“ von den Enterbten wegen der Auto- und Keks-Erben-Lose an ihren Klamotten von der Kletterwand gerissen werden, nicht den „Blutnebel“ riechen, von dem Gabor erzählt.

Abdel-Maksoud konzentriert sich darauf, ihre Figuren im Stil einer Mockumentary, einer behaupteten Dokumentation, vor dem Publikum für sich werben und sich dadurch nach und nach selbst demaskieren zu lassen, so dass vieles zwischen und in ihnen clasht und so sichtbar wird: Der Klassismus – auch der der ökobewegten Linken, der menschenverachtende Verwaltungswahnsinn des Amtes, der Silke schon bei der Grabrede auf ihren Vater einholt und Maudes Flaschenpfanderlöse von ihrem Hartz-IV-Bezug abzieht.

Sichtbar wird auch, dass hinter mancher bescheidener Lebensführung, vor allem künstlerisch Kreativer, die Hoffnung auf eine Erbschaft steckt. Von Nora Abdel-Maksouds wortgewaltigen, knallharten und sich im Pingpong der Positionen abstrus zuspitzenden Analysen dürfte sich kaum jemand nicht wenigstens ein bisschen entlarvt fühlen.