Dunkelste Erwartungen

AUTOREN Leon de Winter ist ein proisraelischer Hardliner und Putin-Fan, oder etwa nicht? Nun bewies er im Jüdischen Museum Humor

VON ULRICH GUTMAIR

Im Jahr 2024 ist Wladimir Putin der bewunderte Führer eines stolzen Reichs. Acht Jahre lang war er Präsident, vier Jahre Premierminister. Dann acht Jahre Präsident und weitere vier Premier. Jetzt ist Putin wieder Präsident. Tschetschenien, Georgien und Aserbaidschan hat er zerstört. Nur in Kasachstan hat er sich mit dem Norden des Landes begnügt, weil im Süden die Islamisten die Macht ergriffen haben. Einige Rezensenten haben die positive Beschreibung Putins in Leon de Winters Roman „Das Recht auf Rückkehr“ kritisiert. Meint de Winter das ernst?

Wer die politischen Ansichten des Niederländers nicht gutheißt, wird dazu neigen, diese Frage mit ja zu beantworten. Tatsächlich lässt de Winters Prosa manchmal die Frage offen, wo der Spaß aufhört. Am Dienstagabend stellte de Winter im Jüdischen Museum seinen eben bei Diogenes erschienenen Zukunftsroman vor, in dem er „seine dunkelsten Erwartungen“ zum Ausdruck bringen will.

Vor de Winter spricht Henryk Broder. Er hält de Winters Szenario eines in seiner Existenz bedrohten Israels für eine „Realität, mit der wir rechnen müssen“. Broder meint die Delegitimierung Israels durch europäische Intellektuelle wie Henning Mankell und andere, die dem jüdischen Staat seine Existenzberechtigung neuerdings ganz offen absprechen. Broder erzählt auch die Geschichte der jungen Frau, die gerade von einem Bochumer Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist, weil sie einer Islamistendemo die israelische Flagge entgegengehalten hat. Am Ende der Lesung werden Spenden für die Frau gesammelt.

De Winters Roman handelt „von einem Vater, der seinen Sohn, und von einem Juden, der sein Land verliert“, sagt er. Er erzählt, wie sein Protagonist Bram Mannheim über der Entführung seines vierjährigen Sohns Bennie verrückt wird. Später macht er es sich zur Aufgabe, in Israel verschwundene Kinder wieder ausfindig zu machen. Das Land ist im Jahr 2024 stark geschrumpft. Jerusalem, der Norden und die Wüste Negev sind in palästinensischer Hand, der Rest ist überaltert und arm. Wer nicht „zu lasch“ ist oder vorbestraft, ist nach Australien oder nach Europa ausgewandert. Polen ist eine aufstrebende Mittelmacht geworden, und viele Israelis zieht es nach Putins Russland. Kurz, der Traum der jüdischen Heimstatt ist zerschollen. Bedroht wird er von islamistischen Selbstmordattentätern, die „jüdische Gene“ in sich tragen und sich an den israelischen DNA-Scannern vorbeischmuggeln können.

De Winter beobachtet nicht nur präzis, wie Menschen Haltungen der Welt gegenüber entwickeln. Er registriert jede leise Verschiebung im emotionalen Haushalt im Verlauf eines Gesprächs oder einer individuellen Entwicklung. Diese Beobachtungsgabe setzt er mit viel Gefühl für das richtige Timing beim Erfinden von Dialogen um. So amüsiert sich das Berliner Publikum bestens über die Szene, in der Brams Vater Hartog seinen Sohn zu sich bestellt. Der sonst recht geizige Papa hat nicht nur Croissants besorgt, sondern verwickelt seinen Sohn in weitschweifige Erklärungen, bevor er die Katze aus dem Sack lässt: Er hat eine Freundin. „Er hatte es gestanden wie ein pubertierender Jüngling, als fürchte er sich vor Brams Reaktion und vor dem Schock, den Betty in ihrem Grab erleiden würde, da ihr Mann gut zwanzig Jahre nach ihrem Tod nun das Bett mit einer anderen teilte.“ Der Sohn möchte die Dame gerne kennenlernen. „ ‚Das geht‘, sagte Hartog. Er erhob sich und rief: ‚Jana! Jana! Kommst du?‘“ Wenn de Winter vorliest, tritt erst so recht der feine Humor zutage, der dieses dunkle Buch trägt und Ausweis des unerschütterlichen Humanismus seines Autors ist.

Später befragt Broder de Winter über die im Roman formulierte „grauenhafte Idee“, zu töten, um nicht getötet zu werden. De Winter antwortet, es gebe Leute, die so denken würden. „Es sitzt einer neben dir“, gibt Broder zurück. Und da zeigt sich der Unterschied ums Ganze zwischen einem Gläubigen und einem Zweifler. An schlechten Tagen denke auch er so, sagt de Winter, doch meist sei er sich nicht sicher. Da gehe es ihm wie seinem Protagonisten, der sich vom Peacenik zum Realisten wandelt. Trotz de Winters Liebe zu Israel steht er auch seinen fiktiven Hardcore-Zionisten ambivalent gegenüber. Und wenn der Autor über Putin spricht, dann offensichtlich als Satiriker.