Die Untypische

Die SPD-Bundestagsvizepräsidentin ist eine Senkrechtstarterin aus Hamburg

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Aydan Özoğuz, die neue Vizepräsidentin des Bundestages, wäre ohne Olaf Scholz vielleicht nie in der Politik und der SPD gelandet. Weil der Kanzler in spe Özoğuz förderte, wurde sie 2001 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft – auf SPD-Ticket, aber ohne Parteibuch. Das ist eine für die SPD seltene Praxis. 2004 trat die Hamburgerin dann in die SPD ein.

Auch hat Özoğuz keine typische Migrationsbiografie: Ihre Eltern kamen nicht als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland, sondern wanderten 1961 als wohlhabende Kaufleute nach Hamburg aus. Özoğuz wurde 1967 dort geboren. Sie wuchs zweisprachig auf, die Hamburger Herkunft ist ihr unschwer anzuhören. Vor ihrer politischen Karriere arbeitete sie dort bei der renommierten Koerber-Stiftung. 2009 zog sie in den Bundestag ein. 2011 wurde sie dann die erste SPD-Vizechefin aus einer Einwandererfamilie. Ihre Wahl war ein bewusstes Zeichen der Partei gegen den damaligen Rechtsaußen-Mann von der SPD, Thilo Sarrazin.

Die Hamburgerin eilte die Karriereleiter danach mit schnellen Schritten hinauf. 2013 wurde sie Regierungsbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration – formal „Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin“. Auch dies war eine Premiere. Sie war damit die erste Frau mit türkischen Wurzeln am Kabinettstisch. Sie engagierte sich für die Staatsbürgerschaft und kommunales Wahlrecht für lange in Deutschland lebende Ausländer, die nicht aus EU-Staaten stammen. Sie agierte pragmatisch und versuchte, die lange ideologisch überformte Migrationspolitik praktisch anzugehen.

AfD-Politiker Alexander Gauland hatte Özoğuz mit der Drohung in die Schlagzeilen gerückt, sie „in Anatolien entsorgen“ zu wollen. Die Strafanzeigen gegen diese rassistische Beleidigung verliefen indes im Sande. Özoğuz gilt als zugewandt kollegial, offen und integrativ. Diese Eigenschaften, die nicht zwingend mit der Hamburger Oberschicht assoziiert sind, werden ihr in ihrem neuen Amt zugutekommen.

Stefan Reinecke