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Diese winzigen Menschen

Das Universum braucht uns nicht. Davon erzählt das Festival „Die Welt ohne uns“ mit vielen internationalen Produktionen, Puppen, Büchern und Hasen

von Katja Kollmann

Kurz hält der Hase inne, blickt starr geradeaus, um weiter zu schnüffeln bis zur nächsten Kontrolle der Situation. Drei PuppenspielerInnen braucht es, um diese täuschend echte Hasenmarionette zu animieren. Asja Kahrimanović Babnik, Iztok Lužar und Zala Štiglic vom Puppentheater Ljubliana bauen liebevoll gestaltete Tischlandschaften auf: eine artifizielle dem Realismus verpflichtete Annäherung an die natürliche Umgebung des Hasen. Und dann liegt ein Hase dort. Wertvoll sind die Sekunden, die diesen Zustand von toter Materie festschreiben, bevor die SpielerInnen dem Hasen-Imitat Leben einhauchen und alles zur Illusion wird.

Das perfekte Spiel kommt der Realität beängstigend nah. Danach aber ein Innenhalten der SpielerInnen, eine bewusste Trennung vom Objekt und eine Gedenkminute. Für ein gelebtes Leben, überlegt man, für die Illusion von Leben oder für beides?

Mit „Still Life“ stellt sich der bekannte slowenische Regisseur Tin Grabnar zum ersten Mal dem Berliner Publikum vor. „Still Live“ hat in der Schaubude das internationale Figuren- und Objekttheater-Festival „Theater der Dinge“ eröffnet. Unter dem mutigen Motto „Die Welt ohne uns“ zeigt es bis zum 13. November kleine und große Produktionen aus insgesamt elf Ländern.

„Die Welt ohne uns“, das ist der Titel eines bekannten Buchs des US-amerikanischen Wissenschaftlers Alan Weisman. Sein Thema: Die Rettung des Planeten ohne uns Menschen. Macht Sinn, denkt man sofort. Trotzdem soll sich erst mal die Kunst um diese Fragestellung kümmern, findet Tim Sandweg, künstlerischer Leiter der Schaubude und Kurator des Festivals.

„Five Books“ zeigt ein Universum, das uns nicht nötig hat. Dafür brauchen Vendula Tomšu und Ian Mykuska aus Tschechien nicht mehr als ein selbst gemachtes Buch. Seite um Seite aus schwarzem Kohlepapier wird von Vendula Tomsu umgeblättert. Auf den ersten Seiten mit Wasserfarbe dargestellt: die Erde, die Sonne – dann zahllose schwarze Seiten. Irgendwann erscheint der Saturn. Fünf ZuschauerInnen sitzen um den Tisch, nur das Rascheln der schwarzen Blätter ist zu hören. In diesem dunklen Raum wird der Kosmos zu etwas Sinnlichem – und die Verankerung dieses „winzigen“ Raums mit diesen „winzigen“ Menschen im Kosmos scheint spürbar.

„Theater der Dinge“ setzt in diesem Jahr bevorzugt auf kleine Formate – exklusiv für eine(n) oder ganz wenige ZuschauerInnen produziert. Im Theaterhaus Mitte, einem Kooperationspartner des Festivals, findet ein Parcours statt, den man allein bewältigt. Folgt man den gelben Pfeilen im Haus, läuft man durch die Flure des ehemaligen DDR-Schulbaus und wird in ehemalige Klassenzimmer geladen, die voller Überraschungen sind. So bekommt man bei Earthbounds von Veravoegelin aus Deutschland einen Sensor umgelegt, der auf die Atmung reagiert. Hinter der Klassenzimmertür ein Diaprojektor, viele Kabel – und eine künstliche Graslandschaft. Ich atme und wandle zehn Minuten lang durch den Raum – und verbinde mich dadurch mit meiner materiellen Umgebung: es knistert, wenn ich über das Gras gehe und ich löse im Diaprojektor Wellen aus, die sich auf dem Boden poetisch verlängern.

Xesca Salvà & Villanueva Mir aus Katalonien suchen mit Biologinnen nach pilzartigen Geflechten in der Produktion „Pantoffeltierchen und Meteoriten, die im Schloss Biesdorf bis zum 10. 11. gezeigt wird. Ein Tipp für alle, die gern zum Ding werden möchten: Im Theaterhaus Mitte kann man sich auch in eine Drohne verwandeln, die über die Überreste des Hambacher Forstes fliegt. Das fünfte Buch der „Five Books“ aber fordert explizit zum bewussten Atmen auf. So geht das Leben als Mensch also erst mal weiter…

„Die Welt ohne uns“, bis 13. 11., https://schaubude.berlin/de

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