: Nicht so schlimm wie noch nie
Rassismus gestern und heute – gibt es einen gesellschaftlichen Fortschritt? Aladin El-Mafaalani fasst ganz ohne Alarmismus den Stand der Diskussion zusammen
Aladin El-Mafaalani: „Wozu Rassismus?“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021, 192 S., 12 Euro
Von Jan Feddersen
Der Titel des neuen Buchs von Aladin Al-Mafaalani, ein waschechter Ruhrpottmann und aktuell beschäftigt als Professor am Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück, deutet auf überwiegend trostarme Kost: „Wozu Rassismus?“, fragt er – und es klingt wie: Oh Gott, Pflichtlektüre für uns Aufgeklärte.
Tatsächlich ist diese kleine Schrift von klügster Konsistenz. Es atmet auf gewisse Weise eine smarte Zuversicht, alle Probleme mit und durch Rassismus (mindestens in diesem Land) erkennen und bewältigen zu können. Ein Brevier ohne religiöse oder alarmistische Allüren – eines vielmehr der Lebenslust, der Zuversicht, dass alles besser werden kann, und zwar nicht an den Linien von Hautfarben entlang, sondern vor dem Hintergrund, dass alle prinzipiell Bürger und Bürgerinnen sind und keine Opfer von Benachteiligung sein oder werden dürfen.
Al-Mafaalanis These: Rassismus, die Behauptung von menschlichen Rassen, vor allem die Praxis ihrer hierarchisierenden Sortierung, ist falsch, grundsätzlich. Der Autor belegt durch eine Fülle von Hinweisen, dass das Bild, das in antirassistischen Kreisen gern gemalt wird, nach dem alles heutzutage so schlimm ist wie nie, nicht triftig sein kann. Im Gegenteil: Es gibt keinen gesetzlich codierten Rassismus mehr, aber es gibt in allen gesellschaftlichen Sphären Reste der alten Denkart, rassifizierender Haltungen und Praxen – sei es selbst in gut gemeinten Schulbüchern, in unseren Alltagsblicken, in unserer oft mangelnden Fähigkeit zur Einschätzung von Wirklichkeit, etwa im Alltag an der Supermarktkasse oder im Job.
Er vergleicht die letzten Spuren des Rassismus im rechtlichen und kulturellen Gefüge der Bundesrepublik mit der gesundheitsschädlichen Substanz Asbest, so sagt er es auch in öffentlicher Rede: Asbest sei inzwischen zu verbauen verboten – aber es gebe noch verputzte Wände, die mit diesem krebserregenden Stoff aufgepeppt wurden. Um diese Reste des Rassismus geht es dem Autor, und er weist zugleich den wohlfeilen Satz von linksliberalen Gutmenschen zurück, man müsse doch nur „farbenblind“ sein, dann sei doch alles geklärt und schön.
Nein, insistiert der Autor, die Antwort könne kein Beschweigen der in unseren Alltagen ja ernsthaft fühlbaren Diskriminierungen sein – gerade das Reden, das hitzige Diskutieren über und gegen Rassismus haben diesen kulturell illegitim gemacht. Wo Konflikte sind, so der Autor schon in seinem 2018 erschienenen Buch „Das Integrationsparadox“, finde ein Ringen ums bessere gemeinsame Leben statt. Der Diskurs in heutiger Zeit, so Al-Mafaalani, markiert eine Qualität des Streits, den es in dieser intensiven Weise noch vor 30 Jahren nicht hätte geben können, als Rassismus schon deshalb nicht stattfand, weil der gesellschaftliche Mainstream ihn für inexistent erklärte. Dass also eine Vokabel wie „Rassismus“ inzwischen selbst in der CDU/CSU zur gängige Beschreibungsvokabel von Übeln geworden ist, ja, dass ein Rechtsaußenpolitiker wie Hans-Georg Maaßen im lebenspraktisch konservativen Südthüringen kein Direktmandat erringen konnte, beweist die Stärke der Annahmen Al-Mafaalanis: Rassismus – allem AfD-Qualm zum Trotz – ist prinzipiell zum Igittigitt geworden.
Am Ende seines Buchs nennt der Autor die Namen der Opfer rassistischer Attacken und Attentate: #saytheirnames ist die letzte Chiffre dieser Lektüre, sie muss als Mahnung gelesen werden – Al-Mafaalani recht verstanden –, sich über das Erstrittene und Erkämpfte auch zu freuen, aber nicht zu verzagen und weiterzustreiten.
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