Ehrenamtliche gegen Einsamkeit

GESELLSCHAFT Hausbesuche per Telefon: Mitglieder des Vereins „Ambulante Versorgungslücke“ rufen auf Wunsch bei Menschen an, die oft einsam sind

„Angesprochen werden gehört zum Existenzminimum und ist noch wichtiger als Hartz IV“

Annelie Keil, Bremer Gesundheitswissenschaftlerin

„Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich“, singt Max Raabe mit seinem Palast Orchester. Kein Schwein ruft mich an – dagegen stemmt sich eine Bremer Initiative. Ehrenamtliche des Vereins „Ambulante Versorgungslücke“ rufen auf Wunsch bei Menschen an, die oft einsam sind. „Wir hören zu, klönen, diskutieren, plaudern“, sagt Initiatorin Elsbeth Ruetten und ergänzt: „Das sind Hausbesuche per Telefon – Verbindungen nach außen, die im Alter wichtig sind.“

Zu den Anruferinnen gehört Doris Alberts, die eben den Hörer in der Geschäftsstelle des Vereins aufgelegt hat. „Das war ein Geburtstagsgruß für eine ältere Dame, die eine schwere Herz-Operation vor sich hat“, erzählt die 68-jährige ehemalige Krankengymnastin. „Ich habe ihr Mut zugesprochen und gesagt, nach dem Eingriff melde ich mich wieder bei Ihnen.“

„Wohlfühlanrufe“ können selbst gebucht oder von Angehörigen verschenkt werden. Wer in der Lage ist, zahlt eine Aufwandsentschädigung von monatlich knapp zehn Euro. „Die Gespräche unterliegen der Schweigepflicht, bauen Brücken der Begegnung“, ist die 64-jährige ehemalige Krankenschwester Ruetten überzeugt, die sich seit Jahren gesundheitspolitisch engagiert. Mit einer Bundestagspetition hat sie auf ungenügende Hilfen für Ältere nach einem Klinikaufenthalt aufmerksam gemacht und bereits erste gesetzliche Verbesserungen erreicht.

Die Bremer Gesundheitswissenschaftlerin und Soziologin Annelie Keil nennt das Telefon eine „Sturzprophylaxe für fehlende soziale Kontakte“. Sie ist Schirmherrin der Initiative und schult Ehrenamtliche, die sich wie sie gegen Einsamkeit im Alter engagieren. „Angesprochen werden, das gehört zum Existenzminimum und ist noch wichtiger als Hartz IV“, meint die emeritierte Professorin der Bremer Universität.

Bisher gibt es 30 Menschen auf der Anrufliste. „Für mich ist jede Geschichte neu“, freut sich Doris Alberts über die Gespräche, bei denen sie sich mit ihrer Person nicht aufdrängt: „Ich bin die Hörende, die Fragende.“ Das war sie kürzlich auch bei einer Frau, die sich von ihrer Wohnung verabschiedet hat, um ins Altenheim zu ziehen. Die Diskussion darüber mit den Kindern war schwierig, der neutrale Kontakt zu Alberts ein Segen. „Das war ein Ablöseprozess, den ich am Telefon bis zum Umzug begleitet habe.“

„Es geht uns um gesellschaftliche Teilhabe, um die Frage, wie ich im Alter noch dabei sein kann“, unterstreicht Ruetten, die das Wohlfühltelefon gerade mit der Ausbildung neuer Ehrenamtlicher ausbaut. Eine Idee, die ganz offensichtlich keine Einbahnstraße ist. „Ich habe Zeit zu verschenken und kriege auch was wieder“, schwärmt Doris Alberts. „Mich auf fremde Menschen einzulassen, das bereichert mich.“ EPD