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Alles schreit nach Aufmerksamkeit

Das Orakel von Friedrich Kittler: Mit einem zehntägigen Festival reanimieren die Berliner Festspiele das ICC, den alten, schon seit 2014 stillgelegten „Panzerkreuzer Charlottenburg“, was sich als Glücksfall herausstellt

Von Beate Scheder

Dem Taxifahrer scheint die Adresse nicht viel zu sagen. Und wann war man überhaupt zuletzt hier? Jahre ist das her, mindestens sieben. Da beendete das ICC, das Internationale Congress Centrum, seinen Betrieb, der „Panzerkreuzer Charlottenburg“, das „Raumschiff“, der „Koloss“, das „Ungetüm“ am westlichen Ende des Innenstadtrings. 313 Meter lang, 89 Meter breit, 40 Meter hoch. Ein Gigant mit Aluminiumhaut, im Dornröschenschlaf seit April 2014.

Ihn unterbricht nun Thomas Oberender, scheidender Intendant, kurz für ein Festival aus Anlass 70 Jahre Berliner Festspiele. „The Sun Machine Is Coming Down“ ist der Grund für den Wiederbesuch. Das Festival bespielt die retrofuturistische Ruine mit Installationen, Performances, Konzerten und Videokunst, lädt einmalig zur Wiederbesichtigung dieses irren, halbvergessenen Baus ein.

Einfallen lassen haben sich ihn einst das Architektenpaar Ursulina Schüler-Witte und Ralf Schüler. 1966 gewannen die beiden den Wettbewerb für das Berliner Kongresszentrum. Baubeginn war 1975, vier Jahre später wurde es eröffnet. Offenbar gab es mal eine Zeit, in der Berlin das gut hinbekommen hat mit den großen Bauprojekten – schon damals für Rekordsummen allerdings. Und in der die Architektur noch mutig war, nicht nur außen, sondern auch innen. Noch mehr fällt das jetzt auf, wo sie sich in ihrem rohen Ist-Zustand präsentiert, überwältigend ist das fast. Das ICC schreit in jedem Winkel nach Aufmerksamkeit, vom Fußbodenbelag bis zu den Garderobenhaken – am lautesten schreit freilich Frank Oehrings Licht- und Leitsystem, seine „Gehirn“ genannte „Große Lichtplastik“. Unter Denkmalschutz steht alles, was man da sieht, seit 2019, aber was heißt das schon, außer dass das Gebäude nicht abgerissen werden kann?

2014 schon gab es Ideen für eine Umnutzung. Damals entstand aus privater Initiative heraus die Gedanke, das ICC in ein ICCC zu verwandeln, ein International Center for Contemporary Culture. Geschehen ist am Ende – nichts. Zur bloßen Hülle verkam der Bau. Dabei gäbe es Inhalte doch genug. Ebendas beweist nun das Festival.

3,5 Stunden Zeit haben die Be­su­che­r*in­nen mit ihrem Ticket, die sich kurzweilig füllen lassen. Ein paar Programmpunkte sind terminiert, das meiste aber läuft in Dauerschleife. Beim Einlass bekommt man eine Karte in die Hand und soll sich dann treiben lassen. Der richtige Zugang ist das definitiv, beim Flanieren durch die Räume, beim sich Verlaufen in der verschachtelten Architektur kommt man aus dem Schauen und Staunen kaum heraus. Staunen vor allem auch über die Verschwendung. Wieso finden nicht in dem großen Saal, in dem nun Julia Stoschek ausgewählte Arbeiten ihrer Videokunstsammlung präsentiert, nicht die großen Premieren der Berlinale statt? Wieso nicht immer Konzerte in Saal 2, der während des Festivals für das Musikprogramm kuratiert von Martin Hosbach reserviert ist?

Mit welchem Stolz sich das Kongresszentrum samt seiner Technik damals präsentierte, lässt sich unten, gleich hinterm Eingang besichtigen. Da steht der ehemalige Steuerraum, die Kommandobrücke des Raumschiffs, einsichtig für alle Besucher*innen, den sich Cyprien Gaillard für seine Installation ausgesucht hat. Die Asbestbelastung des Hauses, die neben der mangelnden Wirtschaftlichkeit ein Grund für dessen Schließung war, findet hier ein Echo. Cofalit, ein Stoff, der bei einem speziellen Verfahren der Asbestaufbereitung entsteht, hat Gaillard zu metallisch-glänzenden Klumpen eingeschmolzen, Überreste des verschwenderischen Umgangs mit Ressourcen.

Wer dieser Sonnenmaschine keinen Besuch abstattet, hat wirklich etwas verpasst

Indirekt ist der auch Thema in den zehn Glasvitrinen, die man dann passiert. Früher einmal präsentierten sich in denen Unternehmen, nun hat Markus Selg darin „Earth Samples“ zusammengetragen, Requisiten aus einer Science-Fiction-Fantasie, bei der nicht so ganz klar ist, ob es sich um eine Utopie oder Dystopie handelt.

In den oberen Stockwerken lässt Joulia Strauss das Orakel von Friedrich Kittler sprechen, Monira Al Qadiri und Raed Yassin Roboterköpfe, die ihnen und ihrer Katze nachempfunden sind. Tomas Saraceno organisiert Spinnenführungen, Tino Sehgal dekonstruiert Kompositionen von Beethoven in Choreografien für einzelne Körperteile – nur ein paar Beispiele des umfangreichen Programms. Wie selbstverständlich fügt sich die Kunst in die Architektur ein. Wer dieser Sonnenmaschine keinen Besuch abstattet, hat wirklich etwas verpasst.

Und verpasst auch die Chance, sich anstecken zu lassen von der Idee, das hier könnte erst der Anfang sein. Als eine Aufforderung an die Politik will Oberender das Festival verstanden wissen. Die Berliner Stadtpolitik müsste Verantwortung übernehmen für diesen Ort, erklärte er während der Pressekonferenz am Donnerstagvormittag. Noch klingt es wie ein Traum, aber wie einer, der durchaus wahr werden könnte. Ein Gewinn wäre es für die Stadt, wenn sich – mit der passenden Finanzierung, die ist fraglos der entscheidende Faktor – aus der Euphorie des Festivals etwas Dauerhaftes entwickeln könnte.

Bis 17. Oktober, ICC

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