Hüftschwung im Kopfkino

Der Wiener Künstler Oliver Hangl lud im Hamburger Schanzenviertel zur Gehsteig-Disko: Tanzen mit Kopfhörer, lautlos und verzückt, vor verwirrten Passanten. Ein großer Spaß. Und für Hangl das Material für seine Performance-Videos

Am Anfang war der Hörsturz. Später war auch Bier im Spiel. Dass die Notizen gegen drei Uhr in der früh auf einem geliehenen Tagebuch eines Freundes gemacht werden mussten, darf als Erfolg des Experiments gewertet werden: Gehsteigdisco mit Kopfhörer. Und das aus Wien. In Hamburg.

Leute mit Funkkopfhörern auf den Ohren ertanzen den öffentlichen Raum. Schuld an dem Spektakel hat Oliver Hangl, Wiener Künstler zwischen Theater und Event. Gemeinsam mit dem in Hamburg lebenden Wiener DJ DSL geht es im „Thier“ am Mittwochabend auf der Kaffee Latte-Promenade Hamburgs, dem Schulterblatt, um ein lautloses Partytreiben bis spät in die Nacht.

Kino im Kopf? Das sind die Fragen, die sich an den Möglichkeiten dieses Feldversuchs orientieren. Das ganze beinahe so geräuschlos, dass selbst die eintreffende Polizei gegen 1 Uhr hilflos auf der Suche nach einer Lärmquelle bleibt. Die Nachbarn beschweren sich nur kurz über mitsingende Freilufttänzer. Doch nach einer Ansage, vor der Kneipe doch bitte leise zu tanzen, wird selbst bei einsetzendem Regen weiter die Hüfte geschwungen.

Vorbeikommende Passanten schauen blöd. Schütteln den Kopf, lachen ob der bewegten Leiber oder holen sich selbst ein Paar Kopfhörer, um zu hören, was so verzückt. Denn in der Bar selbst ist es still. Nur vereinzelt hört man Stimmen, Turnschuhquietschen oder Gläser klirren. Kopfhörerlose stehen regungslos da und beobachten oder unterhalten sich darüber, warum Bars langweilig sind, wenn sich die Leute nicht unterhalten, sondern isoliert Musik hören. Wieder andere freuen sich. Endlich mal keine Unterhaltung. Nur die Musik und ich. Und mit mir die anderen Tänzer.

Eine faszinierende Mischung extrovertierter Tänzer, die als Exponat funktionieren, da sie ein vom Ton getrenntes Bild abgeben und Zuschauern, die in ihren Reaktionen geeignetes Material für Hangls Videoaufzeichnungen abgegeben. Wichtig ist ihm das reale Setting, in dem seine Projektreihe stattfinden soll. „Wir befinden uns nicht im Club mit einer Bühne“, sagt er. „Wir bringen den Club überall hin.“ Daher werden auch keine Videoprojektionen oder Visuals benötigt. „Unsere Projektionen finden unmittelbar und im Kopf statt.“ So ist die visuelle Untermalung wechselweise der vierspurige Fließverkehr, Prostituierte im Rotlichtmilieu oder das Krankenhaus.

Alles Orte, an denen Hangl seine Performance schon durchgeführt hat. „Hier als Disko funktioniert es recht simpel“, sagt Hangl. Normalerweise brauchen die Leute wesentlich länger, sich an den ungewohnten Tanzabend zu gewöhnen. Im Thier tanzen sie unentwegt. „Hier hat es gleich auf Knopfdruck gepasst, was noch nie passiert ist“, freut sich der Wiener.

Und das mit dem Hörsturz hat sich auch schnell erledigt. Man muss nur die richtige Frequenz am Kopfhörer einstellen, um das lästige Rauschen im Kopf loszuwerden. Oke Göttlich

Am heutigen Freitag ist Oliver Hangl mit der Performance „HFK on Ear“ in Lüneburg, ab 19 Uhr in der Halle für Kunst. Infos: www.olliwood.com