Was von Covid übrig blieb

Neue Krisen schaffen neue Bedürfnisse. Doch vieles, das wir wegen Lockdown und Homeoffice angeschafft haben, brauchen wir nicht mehr. Und jetzt?

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Nicht zum Grinsen

Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst“ – erinnern Sie sich? Zu diesem Zeitpunkt hatten nur hartgesottene Prepper Vorräte angelegt wie einst in den Fünfzigern, Stichwort „Speisekammer“ und „Atomkrieg“. Normale Menschen hatten nur eine TK-Pizza im Drei-Sterne-Fach und ein paar Dosentomaten im Schrank.

Ja, und dann fing ich an mit dem Ernstnehmen und kaufte ein für schlechte Tage. Im Drei-Sterne-Fach lagern seitdem säckeweise Blumenkohl und Brokkoli. Und in der Speisekammer: Hülsenfrüchte. Belugalinsen, Berglinsen, Rote Linsen, Wald-und-Wiesen-Linsen, unzählige Packungen stapeln sich neben den besagten Dosentomaten.

Erbsen, Bohnen, Linsen – und dann war doch noch was mit Grinsen. Danach war meinem Bauch aber schnell nicht mehr zumute. Klar, aus Belugalinsen lässt sich ein schöner Salat zaubern (mit Balsamico-Senf-Thymian-Dressing zum Beispiel) und eine Suppe aus roten Linsen schmeckt auch gut. Ab und zu. Dann war da noch Alison Romans Kichererbseneintopf mit Kokosnuss und Kurkuma, #theStew. Schon verdrängt? Das war ein Hülsenfrüchterezept aus der New York Times, das zu Beginn der Pandemie viral ging und tonnenschwer im Magen lag, wohl auch wegen der großen Menge an Kokosnussmilch.

Und wer will nach all den Monaten des Im-Kreis-Latschens in Parkanlagen mit anschließender Abendessenzubereitung überhaupt noch kochen? Der einzige Trost angesichts der Linsenfülle in meiner Kammer ist, dass man aus Linsen Pasta herstellen kann. Denn die soll ja im kommenden Winter knapp werden. Martin Reichert

Desinfiziert euch!

Wie sehr habe ich es vor Corona gehasst, wenn wir meine Großmutter im Krankenhaus besuchten und meine Mutter sich danach jede Menge Desinfektionsmittel über die Hände schüttete. Scharf roch es und stach so unangenehm in der Nase, dass ich meistens darauf verzichtete, denn damals glaubte ich noch an mein unerschütterliches Immunsystem.

Doch dann wurde ich leider zur Hypochonderin und schlitterte, wie wir alle, in diese Pandemie. Schnell war ich des Desinfektionsmittels größtes Fangirl und erwarb, als das Zeug zu Anfang der Pandemie für Normalsterbliche noch knapp war, eine große Palette Klosterfrau Melissengeist. Wegen seines hohen Alkoholgehalts sollte das gegen die bösen Viren helfen, hatte ich im Internet gelesen.

Jetzt, wo wir wissen, dass die Handdesinfektion in der Coronabekämpfung höchstens eine untergeordnete Rolle spielt, werden einem die kleinen Fläschchen quasi hinterhergeworfen. Und so steht die hochprozentige Pseudomedizin vermutlich für immer blöd in meiner Abstellkammer herum. Vielleicht vermache ich sie meinen zukünftigen Enkeln als coolen Retroschnaps.

Denn immerhin kann man das Zeug trinken – im Gegensatz zu den 20 Packungen nicht viroziden Desinfektionsgels, die mein Vater zur Hochzeitsfeier meiner Schwester kaufte und sie, zusammen mit weißen OP-Masken, auf die er kleine Herzen stempelte, an die Gäste verteilte. Selbstverständlich ohne vorheriges klebriges Handbad. Anna Fastabend

Einsame Krake

Ich liebe schöne Möbel. Eigentlich suche ich alles in meiner Wohnung nur danach aus, ob es gut aussieht. Funktionalität: sehr nebensächlich.

Bis zum Lockdown. Wie so viele andere saß ich von morgens bis abends im Homeoffice vor dem Bildschirm und hatte Rückenschmerzen. Mein selbstgebauter Tisch war zu tief. Mein Vintage-Stuhl zu hoch. Mein Rücken zu krumm.

Dann sah ich auf dem Schreibtisch eines Freundes dieses Ding stehen: eine Mischung aus Notenständer und Metallkrake, hinten etwas höher als vorne. Darauf stand sein Laptop. Sein Rücken sei seitdem wie ausgewechselt, erzählte er mir.

Für das, was ich wochenlang versucht hatte mit einem wackeligen Stapel Bücher zu kompensieren, gab es also eine Lösung: Laptopständer. Ich bestellte mir ein günstiges Modell. Es war nicht schön, aber ich hatte keine Wahl. Ästhetische Rückenprävention hätte den Wert eines Kurzurlaubs gehabt. Und ich hatte kein Geld.

Für eine Weile fühlte ich mich mit meinem Laptopständer besser. Ich kaufte mir sogar noch Maus und Tastatur dazu. Aber die Vernunft hielt nicht lange an. Der Ständer stand einsam auf meinem Tisch, ich hing gekrümmt über meinem Laptop im Bett oder auf dem Sofa. Irgendwann diente die Krake meinem Berg von Unterlagen als Ablage. Inzwischen ist sie mit nach Berlin gezogen. Man weiß ja schließlich nie, wann der nächste Lockdown kommt. Luisa Thomé

Schnelltests statt Kaffee

Noch letztes Weihnachten kam ich mir vor wie eine Figur aus den Geschichten meiner Großmutter über die Nachkriegszeit, wenn jemand sagte: Die Frau vom Cousin meines Mitbewohners ist Ärztin, die kann einen Hunderterpack Schnelltests besorgen. Natürlich nur halblegal.

Dann kamen erst die kostenlosen Bürgertests, und als schließlich die ersten Freun­d:in­nen im Frühjahr durchgeimpft waren, verschenkten sie mit Gönnerblick ihre letzten 23 Schnelltests, die sie noch gebunkert hatten. So schnell, wie er entstanden war, war der Markt für Schnelltests wieder eingebrochen. Inzwischen sind knapp 65 Prozent aller Deutschen geimpft. Und ich bin jetzt wie die kleinste Schwester in der Familie, die die alte Kleidung nicht mehr weiterreichen kann.

Was mache ich jetzt mit den Dingern? Wegschmeißen wäre schade – so viel Papier und Plastik. Hier ein paar Ideen:

1. Stäbchen zur Säuberung stark verstopfter Ohren benutzen.

2. Statt Kaffee am Morgen einfach einmal Stäbchen in die Nase: Hallo wach!

3. An die entstehenden Coronamuseen spenden.

4. Aufheben als Wertanlage. Der „Boson Biotech Schnelltest“, der „HOTGEN Laientest“ oder der „WatMind Lollipop Test Speichel“ werden sicher mal Sammler:innenstücke.

5. Basteln. Einen Ritter mit Pferd aus dem Röhrchenständer und einer Steriler-Tupfer-Lanze oder eine Seiltänzerin mit Balancestab daraus machen. Rebecca Ricker

Lebt denn der alte Holzkasten noch?

Als ich kurz vor dem zweiten Lockdown ein Klavier aus dem Internet organisierte, hatten meine Hände so einen Holzkasten noch nie bedient. Aber ich gaukelte ihm ein- bis zweimal am Tag vor, eine Mischung aus Yuja Wang und Glenn Gould zu sein. Ein zugegeben etwas aus der Übung gekommener Glenn Gould.

Außer dem Transport und dem Einsatz eines Stimmers musste ich für diese pandemiebedingte Krisenintervention nichts zahlen. Meine Klavieranschaffung war günstiger als eine neue Joggingausrüstung, durchschnittliches Yogaequipment oder zwei dreimonatige Online-Meditationskurse. Außerdem war ich damit lockdowntechnisch klar im Vorteil: Ich musste die Wohnung nicht verlassen und konnte trotzdem so etwas wie eine neue Welt erkunden.

Die weiteren Bewohner meines Hauses hielten das wochenlange Rumstochern meiner Finger auf der Suche nach der richtigen Taste geduldig aus. Bis eines Sonntagsmorgens um circa 8.05 Uhr. Vom Gould’schen Wahnsinn gepackt, saß ich schon in aller Herrgottsfrühe am Klavier. Nachdem der Nachbar freundlich darauf hinwies, dass dies nun wirklich keine Uhrzeit sei, war erst mal Ruhe.

Ich war krank vor Schamgefühlen, denn nun hatte ich die Gewissheit, dass alle wochenlang mein Gewürge gehört hatten. Erst im never-ending Osterlockdown legte ich wieder los. Ich redete mir ein, dass auch meine Nachbarn das Recht hätten, zu erfahren, ob ich und meine Klavierskills Fortschritte machten.

Dann kam die Impfung und der Sommer. Seitdem steht der Holzkasten nur noch herum. Auf seinem Deckel liegt der ebenfalls in der Pandemie erworbene FaszienballDoris Akrap