Das Ringen der Nationen

Das Finale der Nations League wird am Sonntag zwischen Frankreich und Spanien ausgespielt. Das Konstrukt wirkt immer noch arg künstlich und könnte bald Geschichte sein

Beschwingt ins Endspiel: Frankreichs Theo Hernández (l.) und Kylian Mbappé freuen sich über ihren Sieg gegen Belgien Foto: ap

Von Florian Haupt

Erinnert sich jemand noch an den Premierensieger der Nations League? Richtig, Portugal. Die Ronaldo-Combo konnte ihren Titel beim zweiten Finalturnier des neuen Uefa-Wettbewerbs allerdings nicht verteidigen, denn sie ist nicht dabei gewesen. Das Endspiel am Sonntag (20.45 Uhr) bestreiten Spanien und Frankreich.

Beider Weg dorthin war nicht einfach – und ist größtenteils schon eine Weile her. Im Corona-Herbst 2020 gewann Frankreich die Gruppe A3 des doppelt viergleisigen Championats und Spanien die A4, unter anderem durch ein 6:0 gegen Deutschland. Ein Jahr später fanden nun in Italien die Halbfinals statt. Die Franzosen rehabilitierten sich für ihre schwache EM mit einem 3:2 nach 0:2 zur Pause gegen Belgien. Auch die andere Partie war sehenswert: Spanien schlug Italien mit 2:1 und brachte dem Europameister die erste Niederlage nach einer Rekordserie von 37 ungeschlagenen Spielen bei. Dass danach Tränen bei den Gastgebern flossen, wäre freilich nicht bekannt. „Besser jetzt eine Niederlage als im Finale der EM oder einer WM,“ sagte Nationaltrainer Roberto Mancini.

Auf der anderen Seite war Spaniens Revanche für das nach Elfmeterschießen verlorene EM-Halbfinale ein Triumph sondergleichen für Trainer Luis Enrique. Der brachte schon im Sommer die Medien auf die Palme, als er wagte, was im aus Madrid gesteuerten Diskurs als maximales No-Go gilt: Er fuhr ohne einen Profi von Real zum Turnier. Nun nominierte er trotz zahlreicher Ausfälle wieder keinen Spieler von Real, was man ihm vielleicht gerade noch durchgehen lassen hätte – wenn er sich nicht zugleich üppig beim kriselnden Erzrivalen FC Barcelona bedient hätte, seinem Ex-Klub als Spieler und Trainer. Sogar den Novizen Gavi hatte er die Unverfrorenheit zu berufen. Einen 17-Jährigen!


„Ich lese euch nicht, schaue euch nicht, höre euch nicht“, erklärte Luis Enrique den Journalisten vor dem Spiel, denn: „Ich verstehe mehr von Fußball und habe viel mehr Informationen als ihr“. Um den Einsatz noch zu erhöhen, stellte er Gavi gleich in die Startelf. Der Barça-Profi mit 275 Minuten in der ersten Liga ist mit 17 Jahren und 62 Tagen jetzt Spaniens jüngster Nationalspieler der Geschichte – und war einer der Besten beim ersten Sieg einer Gastnation im Mailänder San Siro. Danach verneigten sich die halbwegs fachlich orientierten Kommentatoren wieder reumütig vor ihrem Erfolgstrainer, doch andere wie der ultrapopulistische TV-Stammtisch „Chiringuito“ halten die Frontalopposition aufrecht – und es im Finale tendenziell mit Real-Heros Karim Benzema und dem womöglich künftigen Madrilenen Kylian Mbappé.

„Besser jetzt eine Niederlage als im Finale der EM oder einer WM“

Roberto Mancini, Italien-Coach

In Frankreich selbst begnügen sie sich fürs erste damit, die eigene Debatte um ein toxisches Binnenklima abgewürgt zu haben. Die Begnadigung von Benzema nach fünf Jahren „Sextape“-Exil und die Schnöselallüren von Mbappé hätten den Teamgeist der Weltmeister zerstört, hieß es nach dem EM-Aus. Nun leitete Benzema mit einem kunstvollen Anschlusstor die Aufholjagd ein, und Mbappé vertrieb mit einem Elfmeter zum Ausgleich die Dämonen seines EM-Fehlschusses gegen die Schweiz. Nationaltrainer Didier Deschamps weiß: „Jetzt geht es um einen Pokal, und Pokale sind wichtig“.

Besonders, wenn man gerade selbst darum spielt. In Deutschland kennt man das Phänomen seit der plötzlichen Confed-Cup-Euphorie 2017. Weil im Jahr nach der gewonnenen Generalprobe die Weltmeisterschaft vermasselt wurde, blieb der Flirt jedoch ohne Substanz, und vor zwei Jahren wurde das Turnier im Zuge der Reformpläne der Fifa sowieso abgeschafft. Der Nations League droht dasselbe Schicksal – sollte sich der Weltverband mit seinem Ansinnen einer Weltmeisterschaft alle zwei Jahre und einer Reduzierung der übrigen Länderspielfenster durchsetzen. Zumindest Thomas Müller würde sie wohl nicht vermissen: „Ich dachte, im Juni hätte ich frei“, antwortete er dieser Tage auf den Hinweis, dass schon im Juni vier Partien der Ausgabe 2022/23 anstehen.

Wahre Nations-League-Fans können sich fürs erste damit trösten, dass die Edition 2020/21 mit dem Finale am Sonntag noch längst nicht vorbei ist. Vielmehr gilt es bis Mitte November auszuharren – erst dann wird man wissen, welche beiden Nations-League-Erfolgsteams in das Playoff um die Tickets für die WM in Katar einziehen werden. Es bleibt spannend, auf allen Plätzen, und selbst Österreich ist noch im Rennen.