Jan-Paul Koopmann über „Milchwald“ am Theater Bremen
: Klassenkampf und Herrenwitz

Dieses Ensemble weiß auch mit schematischen Rollen etwas anzufangen

Ungewöhnlich ist es schon, dass ausgerechnet Pathos und Gänsehaut den Abend mit der Vernunft versöhnen. Aber so funktioniert Armin Petras’ „Milchwald“ eben. Und das gleich doppelt, wie die Uraufführung des Stücks am Wochenende zeigte. Der Schlüsselmoment ist ein Monolog über die Partisanen Polesiens – über „Wälder und Moore voll von untergetauchten Juden und Jüdinnen, geflohenen Zwangsarbeiter:innen, polnischen und ukrainischen Kommunist:innen“. Schauspielerin Lieke Hoppe beschwört sie in endlosen Sätzen mit leuchtenden Augen, „dazu kamen Fallschirmjäger der Roten Armee, die hinter der Front abgesetzt wurden und Waffen, Befehle und Proviant mitbrachten“.

„Milchwald“, das immerhin auch als linke Bewegungsgeschichte antritt, lässt hier zum ersten Mal durchblicken, dass es ihm doch um etwas mehr geht als um Sprachmoden, Selbstfindung und Lifestyle. Gilt das erste Aufatmen also dem Text, betrifft das zweite die Inszenierung, die sich bis dahin sehr schwer damit tat, Ideen zu verhandeln, statt nur die Menschen auflaufen zu lassen, die sie im Kopf haben.

Darum geht’s: Eine zusammengewürfelte Aktivist:innen-Gruppe aus Bremen reist an Europas östliche Grenze, um Geflüchtete von Schleppern zu übernehmen und in Sicherheit zu bringen. Und während der Trip an körperliche Belastungsgrenzen und ethisch-politische Widersprüche führt, bewegen sich in der Handlung drumherum noch bremische Linke früherer Generationen.

Über weite Strecken schön anzusehen ist das, weil auf Julian Marbachs sich von einer kalten Wand in einen noch kälteren Trümmerhaufen zerlegenden Bühne Schau­spie­le­r:in­nen bewegen, die auch mit schematischen Rollen etwas anzufangen wissen: Simon Zigah etwa, der die höhnische Selbstgerechtigkeit der Unterdrückten erst mit Lust vorführt, um sie dann nicht weniger süffisant an der Realität scheitern zu lassen. Fania Sorel balanciert als Geflüchtete Lailah trittsicher zwischen der Würde der Person und dem Elend ihrer Lebensumstände – und Ensemble-Neuzugang Lieke Hoppe führt uns in die Tiefen des Abgrunds zwischen persönlicher Traurigkeit und politischem Optimismus, der so bezeichnend ist für die Linke von heute.

Und das wäre alles so wunderschön wie drängend – würde es nicht an diesem Punkt auch wieder versanden. Denn tatsächlich behauptet das Stück seine Tiefe doch eher, als sie wirklich auszuloten – Lebenswidersprüche werden angezählt, statt ausgereizt. Gerade wo um die inzwischen selbst vom bürgerlichsten Feuilleton ausgewalzten Fragen nach Gender, Sex und Diversität geht, bleiben Armin Petras und sein Autoren-Alter-Ego Fritz Kater sonderbar vage und haben außer verhaltenem Spott nur wenig beizutragen zur Debatte.

Oder klingt das nicht wie ein schlechter Witz? Er auf dem Weg ins Bett: „Komm schon, du entscheidest“, sie „will aber nicht entscheiden“, er darf nicht, weil: „Ich meine, ich bin ja der Mann.“ Sie: „Bist du dir da sicher“ – „dass du der Mann bist?“

„Milchwald“: wieder Freitag, 8. 10., 20 Uhr und Sonntag, 10. 10., 18.30 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus