Ein letzter Gruß mit der Faust aus Stahl

Die vermutlich einzige betriebsbereite Steindruck-Schnellgangpresse Deutschlands steht im Hamburger Museum der Arbeit. Auf ihr sind gerade die 500 Exemplare von Cornelia Manikowskys „kleinen dingen“ abgezogen worden. Die Messe „BuchDruckKunst“ erlaubt, sie noch einmal in Aktion zu erleben, bevor sie ins Depot wandert

Vorführung im Museum der Arbeit: Beim Steindruck kommt es darauf an, entschieden, aber nicht zu fest zuzupacken Foto: Susanne Dupont/SHMH

Von Frank Keil

Man mag es gar nicht aus seiner papiernen Schutzhülle nehmen. Es wird doch gleich Flecken haben, die Ecken werden bald abgestoßen sein, ein erster Knick ist zu sehen, so ungeschützt. Vielleicht ist es also besser, wenn man gar nicht so genau weiß, wie das neue, quadratische und nicht nur haptisch schöne Buch „kleine dinge“ der Hamburger Schriftstellerin Cornelia Manikowsky in den letzten Wochen hergestellt worden ist: entstanden in einem kompliziertem wie zugleich äußerst handfesten Druckverfahren in der Druckwerkstatt des Hamburger Museums der Arbeit.

Jedes Exemplar ist dabei eine Art Unikat; und jedes Mal ein analoges Aufbegehren, auch wenn die Texte selbstredend am Computer geschrieben wurden: Auszüge aus einem wachsenden Zyklus, der mittlerweile gut 100 Texte umfasst. Zwölf von ihnen sind in „kleine dinge“ versammelt: kurze Alltagsszenerien, ein Traum von Patagonien, ein Steinwurf in einen Fjord, ein Lauf über Maisstoppeln und immer auch Selbstbeobachtungsmomente. Dazu Lithografien, für die die Druckgrafikerin Muriel Zoe verantwortlich ist, die einen sanften Teppich aus Gras-Stricheln über die Seiten gelegt hat. 500 Exemplare hoch ist die Auflage.

Das dies alles so gelungen ist, liegt auch an einer mächtigen, stählernen Maschine namens „Faust“. Eine Steindruck-Schnellgangpresse aus dem Jahr 1912, die noch bis 1992 und damit 80 Jahre lang ihren Job in der Bundesbahndirektion Altona tat und dort Tag für Tag die internen Gleis- und Zuglaufpläne für die Bahnarbeiter der verschiedenen Gewerke druckte. Danach aber wechselte sie ins Barmbeker Museum, ins für sich stehende Torhaus, wo mit der Steindruckerei eine der beiden Druckwerkstätten des Museums residiert. Noch.

Das erste Mal kamen von Karstedt, Manikowsky und Zoe 2017 zusammen: „Alles“ hieß Manikowskys damaliger Kurzprosaband, der anschließend auf der „Faust“ entstand. Dass man sich seinerzeit dort für Manikowskys durchaus eigensinnige Literatur begeisterte, hatte und hat gute Gründe – und zwar im Inhalt und sozusagen im Wortbild. Dazu holt Werkstattleiterin Anne von Karstedt kurz aus: „Ich wollte die historischen Techniken des Steindrucks als Flachdrucktechnik und des Buchdrucks als Hochdrucktechnik, die hier zusammenkommen, mit einem modernen Inhalt verbinden“, erläutert sie. Denn ihr zur Seite stehen vornehmlich ältere Ehrenamtliche aus der Druckereibranche, da komme man eher auf klassische Themen und Motive. „Ich stellte recht schnell fest, dass Cornelias Text keine Absätze hat, keine Punkte“, so von Karstedt. „Das ist jeweils formal interessant, weil es einen Satzspiegel gibt, der ganz grade ist, der keine Bewegung hat.“ Ganz anders als sonst ein Text.

Die Messe „BuchDruckKunst“ präsentiert von Freitag, 24. 9., 17 Uhr, bis Sonntag, 26. 9., 17 Uhr, im Hamburger Museum der Arbeit Erlesenes vom insgesamt 60 Künstler*innen und Editionen, die mit traditionellen und neuen Druckverfahren arbeiten, aber auch Unikate und Malerbücher herstellen.

In diesem Rahmen liest Cornelia Manikowsky am Freitag, 24. 9., 19 Uhr, am Samstag, 25. 9., sowie am Sonntag, 26. 9 jeweils um 12, 14 und 16 Uhr.

Ihr Buch „kleine dinge“ ist erschienen in der Reihe der Grafischen Abteilung des Museums der Arbeit Hamburg, 2021. Es kostet 12,80 Euro.

Zudem könne man die Technik des Steindrucks als Flachdrucktechnik wunderbar mit der des Buchdrucks als Hochdrucktechnik kombinieren: „Und das hat den Nebeneffekt, dass das Völkchen der Buchdrucker und das der Steindrucker, die aus historischen Gründen wenig miteinander zu tun haben und die auch manchmal ein wenig abschätzig aufeinander herabschauen, mal zusammenkommen.“

Es ist eine Arbeitsweise, die zugleich der Autorin mehr als nur gefällt: „Selten ist ein Text von mir so gewürdigt worden, sagt Cornelia Manikowsky. Sonst schicke man das Manuskript irgendwo hin, bekomme es gedruckt wieder und könne, wenn man Glück habe, gerade noch Zeter und Mordio schreien, wenn man das Cover sehe, aber selbst die Chance bestehe oft nicht.

„Hier aber haben wir alles zusammen ausgekaspert: den Umschlag, die Buchstaben – allein, wie wir den Titel setzen wollten, wo er hingehört, genau in die Mitte oder eher an die Seite, das haben wir immer wieder neu besprochen, bis wir uns einig waren.“ Und doch könnte es gut sein, dass dieses kleine, wunderbare Buch das letzte Produkt ist, das auf der „Faust“ gedruckt wurde. Denn das Museum der Arbeit wird seine Dauerausstellung völlig neu konzipieren und ausrichten.

Was mit einer Komplettsanierung und -entkernung des Torhauses einhergeht, das seine Funktion als Druckerei-Standort nach derzeitiger Planung verlieren soll. Geplant ist zunächst, dass man das Torhausdach abbaut und dann via Kran die tonnenschwere Druckpresse ins Freie hievt, um sie zu verladen und sie dann im fernen Museumsdepot einzumotten. Ob sie von dort eines Tages wieder den Weg ins Museumshaus zurückfinden wird? Schwer zu sagen. Aber man weiß ja aus Erfahrungen, dass etwas, das einmal abgebaut wurde, eher selten wieder zurücktransformiert wird.

„Ich wollte die historischen Techniken, die hier zusammenkommen, miteinem modernen Inhalt verbinden“

Anne von Karstedt, Leiterin der Druckwerkstatt des Museums der Arbeit

„Steindruckschnellpressen gab es früher sehr häufig“, sagt von Karstedt noch. „Aber dass eine funktionsfähige Presse, wie wir sie hier nutzen, in Betrieb ist, das ist in Deutschland doch echt einmalig.“ Dazu kommt: Man muss sie bedienen können. Und die Ehrenamtlichen, auf die sie zurückgreifen kann – unter anderem auf den Drucker, der damals im Altona Bahnhof an ihr stand –, werden schließlich nicht jünger. Wer wird dann noch da sein, um auf der „Faust“ drucken zu können, wenn erst ein paar Jahre und mehr vergangen sind?

Und so liegt denn durchaus eine ordentliche Prise Wehmut über dem Geschehen im Barmbeker Torhaus, während die „Faust“ rattert und rattert, die nun die Bögen von „kleine dinge“ auswirft, die mit Zoes Lithografien und Farbfeldern bedruckt, dann in die Buchdruckwerkstatt weiterwandern, wo der Text auf die Bögen gedruckt wird; nebenan im Hauptgebäude, im zweiten Stock. Aber noch ist das nicht so weit, noch steht von Karstedt seitlich an der Maschine wie auf einer Art Führerstand, legt die Bögen vom Format A 3 jeden einzeln an und hat von oben aus überhaupt das Geschehen im Blick; Muriel Zoe wischt immer wieder über den Druckstein, dass die sich dort Farbe setzt, wo sie soll.

Drumherum wuseln die drei ehrenamtlichen Drucker, spachteln möglichst gleichmäßig Farbe auf die Walzen, verteilen sie; justieren auch dann und wann die Maschine nach, grübeln und überlegen, weil da Streifen auf den Bögen sind, wo keine Streifen sein sollen; wechseln Walzen aus, auch wenn es daran eigentlich liegen dürfte, auf dass der Druck wie gewünscht gelingen mag. Und ganz am Ende steht Cornelia Manikowsky, führt hochkonzentriert einen Schwamm, um den Stein, mit dem gedruckt wird und der mit großer Kraft vor und zurückgeschoben wird, immer wieder an der richtigen Stelle kurz zu befeuchten – einerseits vorsichtig, aber auch entschlossen, sodass die „Faust“ am Ende Bogen für Bogen freigibt, was bald ihr Buch ergibt, Exemplar für Exemplar.