Perlen aus der Ostsee

GETRÄNK Ein Taucher findet Champagner, mehr als 170 Jahre alt. Jetzt wollen auf der Inselgruppe bei Finnland alle profitieren. Aber darf man den Fund verkaufen?

Den Champagner trinken, also vernichten? Verstößt das nicht gegen Unesco-Regeln?

VON MICHAEL MAREK

Die Bosse des feinen französischen Schaumwein-Hauses Veuve Clicquot hielten ihn erst für einen Spinner, als der åländische Taucher anrief. Er habe Dutzende Flaschen ihres Edelchampagners auf dem Grund der Ostsee gefunden, sagte Christian Ekström, der einmal Busfahrer war und heute Pubbesitzer ist. Der Taucher berichtete den Herren im fernen Reims von einem Segelschiff, das im 19. Jahrhundert gesunken war.

Åland? Wo der Archipel mit dem komischen Namen denn liege, fragten sich die Herren in der Zentrale des Champagner-Herstellers. Sie mussten den Ort erst einmal googeln.

Knapp zwei Jahre später wurden jetzt acht Flaschen der historischen Fracht in Mariehamn versteigert, der Hauptstadt der Åland-Inseln zwischen Finnland und Schweden. Und Veuve Clicquot war mit Werbetross dabei.

Es war das zweite Mal, dass die Åländer Regierung versuchte, einen Teil der 164 Flaschen zu verkaufen, die im Juli 2010 gefunden worden waren. Die Ladung des um 1840 untergegangenen baltischen Handelsschiffs hatte sich als Glücksfund erwiesen.

Veuve Clicquots Chefhistorikerin Fabienne Moreau und Schwedens Champagnerexperte Richard Juhlin bestätigten die Authentizität der Korken und Klasse des Inhalts. Die Lage der Flaschen bei fünf Bar Druck und fünf Grad Temperatur in fünfundvierzig Metern Wassertiefe war ideal, um den Champagner zu konservieren.

Neben dem Veuve-Clicquot-Ensemble befanden sich im Wrack des Segelschiffes mehrere Flaschen der Marke Heidsieck und Dutzende des 1828 untergegangenen Sekthauses Juglar – ein einmaliges Sammelsurium an Raritäten und zugleich der älteste jemals gefundene Champagner der Welt.

Ein Testlauf mit der Auktion von nur zwei Flaschen brachte im vergangenen Jahr auf Åland einen neuen Weltrekord: 54.000 Euro zahlte ein Sammler aus Singapur für die beiden Flaschen aus opakem Schwarzglas. Das wollte man jetzt toppen.

Die Åländer haben Übung darin, die Gunst der Stunde zu nutzen. Einst gehörten sie zum schwedischen Großreich und gerieten in den napoleonischen Kriegen mit Finnland unter die Kontrolle der russischen Zaren. Als Finnland sich in den Wirren der Oktoberrevolution von Moskau unabhängig erklärte, sagten sich die Insulaner auch gleich von Helsinki los. Es war der Völkerbund, der Vorgänger der UNO, der dem Archipel 1922 weitgehende Autonomie innerhalb Finnlands zusicherte, zu dem die 6.700 Inseln, die im Atlas wie eine Ansammlung unzähliger kleiner Kieselsteine aussehen, weiterhin gehören.

Die knapp 30.000 Åländer, die fast alle auf der Hauptinsel Fasta Åland leben, leisten sich eine eigene Regierung und Nationalhymne, einen Nationalfeiertag, ein eigenes Autokennzeichen, eigene Briefmarken und eine eigene Internetdomain: .ax. Die blaue Åland-Flagge mit rot-gelbem Kreuz flatterte an jeder Straßenecke.

Die Stimmung auf Åland knickte dann allerdings ein wenig, als bei der Versteigerung acht der alkoholischen Kostbarkeiten weit unter dem erhofften Preis weggingen und nur zwischen 10.000 bis 15.000 Euro erzielten. Drei Flaschen zog die Regierung Ålands sogar zurück, da die Gebote für sie noch tiefer lagen. Die Auktionatorin des französischen Versteigerers Artcurial vermutete, den Åländern sei das letztjährige Ergebnis zu Kopf gestiegen, sie hätten in der Hoffnung auf neue Rekorde wohl zu viele Flaschen auf die kleine Gemeinde der Champagner-Sammler losgelassen.

Schon Tester Juhlin hatte darauf hingewiesen, die uralten Tropfen seien durch die lange Lagerung auf dem Meeresgrund von strenger Intensität, nicht jedermanns Sache. Den Geschmack verortete er zwischen „fruchtiger Sommersäure“ und „langem, käsigem Abgang“.

Der Taucher Ekström, eigentlich ein Biertrinker, hatte die erste Flasche mit mehreren Kumpels noch an Bord nach dem Tauchgang geleert. Der Inhalt habe „zuckersüß wie Muskatwein“ geschmeckt und sei nahezu „frei von schäumender Kohlensäure“ gewesen.

2013 soll nun die nächste Tranche verkauft werden. Aber darf man das überhaupt – historischen Champagner verkaufen? Sind die Flaschen nicht, ebenso wie Teller, Krüge, nautische Instrumente und die vier geborgenen unbeschädigten Bierflaschen, historische Artefakte?

Laut der Unesco-Konvention zum Schutz von Unterwasserkulturgut dürfte der Schampus gar nicht veräußert werden. Darauf beharrt auch die Archäologin Jenny Lucenius, die für das Åland Museum arbeitet. Man habe von wissenschaftlicher Seite darauf hingewiesen, dass mit dem Perlwein, der getrunken und somit vernichtet werde, ein geschütztes Kulturgut verhökert würde. Die Politik aber habe den Champagner schlichtweg als Handelsware und „trinkbares Lebensmittel“ klassifiziert.

Doch auch mit dieser Hilfskonstruktion verstößt die Regierung Ålands gegen die Unesco-Konvention zum Schutz von Kulturerbe unter Wasser. Zwar hat Finnland die Konvention bis heute nicht unterzeichnet, aber aus Unesco-Sicht ist glasklar: Ålands trinkbarer Champagner gilt als einzigartig. Die Kommerzialisierung des Kulturerbes wird von der Pariser Unesco-Zentrale strikt verurteilt. Im Sinne der Konvention ließe sich das Vorgehen Ålands sogar als Plünderung einer archäologischen Stätte werten.

Archäologin Lucenius beklagt, dass die Inselregierung die anderen Fundstücke des Schoners ohne Zögern dem Museum übergeben habe. Nur den Champagner nicht, dessen Trauben schon zur Zeit des Bürgerkönigs Louis-Philippe I., im 19. Jahrhundert, an Hängen um Reims reiften.

Der Taucher, eigentlich ein Biertrinker, hatte die erste Flasche noch an Bord geleert

Dass Åland internationale Gesetze gebrochen habe, sei Unsinn, sagt Ålands Kulturminister Johan Ehn. Trotzdem war der Regierung wohl nicht ganz wohl bei der Entscheidung. Der Auktionserlös soll daher in eine Stiftung fließen, die archäologische Projekte unterstützt. Vielleicht hofft man so, eine neue Ladung Champagner zu finden.

Ålands Regierung, so weit geht Ehn dann doch, nutze den Champagner als „Marketinginstrument“, um die nahezu unbekannte Inselgruppe auf die „Landkarte von internationaler Presse und Fremdenverkehr“ zu bringen.

Archäologin Lucenius jedenfalls hofft, dass die verbliebenen Flaschen doch noch als historische Artefakte anerkannt und somit eines Tages im Åland Museum zu sehen sein werden. Einen Gewinner gibt es jedoch schon jetzt. Christian Ekström, der Taucher, der den Perlwein vom Meeresboden barg, nutzte die Gelegenheit und zahlte 10.000 Euro für eine der Flaschen. Nun steht sie in seinem Pub – auf Åland, inmitten Tausender Bierflaschen.

Der flachsblonde, stämmige Mittdreißiger betreibt ein Landgasthaus mit angeschlossener Mikrobrauerei. „Slow Beer“ nennt er seine Eigenkreationen aus Ökoanbau, ein gutes Motto für den betulichen Lebensstil der Åländer.

Der Fund barg nämlich auch vier Flaschen baltischen Biers aus derselben Zeit. Die waren zwar nicht mehr genießbar. Aber Ekström ließ die Zutaten in der Universität Helsinki analysieren und rekonstruieren. In Kürze wird nun sein „Wrackbier“ Premiere feiern.

Dann werden Besucher Ålands bei ihm den Uralt-Champagner von Nahem bestaunen können und dabei probieren, wie baltisches Bier vor mehr als hundertsiebzig Jahren geschmeckt hat.