: Die schöne Form der DDR
Die Funktion führt zur Form: Eine Ausstellung in Hamburg dokumentiert die Arbeiten der Produktgestalterin und Hochschullehrerin Christa Petroff-Bohne. Deren gerne die Arbeit erleichternden Gebrauchsobjekte landeten vor allem in der Gastronomie
Von Bettina Maria Brosowsky
Zum gern gepflegten Topos kultureller Differenz zwischen der DDR und der alten Bundesrepublik gehört, dass Frauen im Osten andere Möglichkeiten hatten, Karriere zu machen, als im Westen. Eine unabdingbare Systemtreue vorausgesetzt, mag dies in vielen Professionen stimmen. In künstlerischen Disziplinen allerdings scheinen Werk und kulturelle Wirksamkeit von Frauen, dem Westen ähnlich, weniger beachtet als vergleichbare Leistungen ihrer männlichen Kollegen. Und auch in einer seit einigen Jahre endlich ernsthaft geführten Rückschau auf die Produktgestaltung der DDR – also jenseits simplifiziert-verklärender Ostalgie oder der Verdammung einer Alltagskultur aus „Plaste“ und Surrogaten –, ist eine Autorität wie Christa Petroff-Bohne zwar nicht unbekannt, jedoch in ihrer sachlich modernen Grundhaltung nicht gebührend wahrgenommen und gewürdigt.
Umso grundsätzlicher wie löblicher ist deshalb die Überblicksausstellung, die, gemeinsam veranstaltet vom Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und dem Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, nun ebendort zu sehen ist: Etwa 300 Exponate dokumentieren sowohl die wesentlichen Arbeiten als auch die lange Lehrtätigkeit Petroff-Bohnes an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Hier entwickelte sie ab 1959 eine fächerübergreifende Grundlehre „Visuell-ästhetisches Gestalten“, die sie ab 1972 leitete und zwischen 1979 und 1998 als Professorin vertrat. Angesiedelt im zweiten Studienjahr umfasste sie regulär 440 Stunden Unterricht unter der als „hart“ geltenden Lehrenden.
Durchgesetzt gegen die Eltern
1934 in der sächsischen Provinz geboren, setzte sich Petroff-Bohne in den Nachkriegsjahren im Elternhaus durch und begann, statt einer Lehre im Büro, eine künstlerische Ausbildung als Kerammalerin für kunsthandwerkliche Tonwaren. Danach, als gerade mal 17-Jährige, wurde sie zum Studium der industriellen Formgebung an der Kunsthochschule Dresden zugelassen, sie schloss es 1955 in Berlin-Weißensee ab. An beiden Hochschulen hatte der niederländische Architekt und Produktgestalter Mart Stam versucht, eine Lehre im Geiste des Bauhauses zu etablieren. Hier wie dort scheiterte er jedoch an der Indoktrination der frühen DDR, die das Bauhaus als „formalistisch“ verfemte; er verließ 1953 das Land.
Vom Bauhaus allerdings, so erzählte Christa Petroff-Bohne beim Rundgang in Hamburg, habe sie damals nichts gewusst. Ihr Mentor sei Rudi Högner (1907–1995) gewesen, der sowohl in Dresden als auch in Berlin wirkte. Und über Högner eröffnet sich ein alternatives ästhetisches Referenzsystem, etwa bis zu seinem Dresdner Lehrmeister Theodor Artur Winde (1886–1965): Dieser schuf ab den 1920er-Jahren aus dem von einer avantgardistischen Moderne nicht gerade geschätzten, sichtbar belassenen Massivholz Gefäße wie Schalen, Becher, Dosen und weiteres, die in ihrer sachlichen Präzision durchaus wie Prototypen industrieller Formenfindungsprozesse erscheinen mögen. Ihre definitive Gestalt jedoch gründet sich auf dem handwerklichen Verständnis für das Material und seiner werkstoffspezifischen, haptischen wie visuellen Qualität. Ein Ausstellungskapitel kontextualisiert Petroff-Bohnes Gestaltungslehre in diesem Verständnis, das sie als Zusammenwirken von Hand und Auge bezeichnet.
Unter dem Prädikat einer moderaten Moderne lassen sich viele von ihr gestaltete Produkte subsumieren. Am bekanntesten sind sicherlich die Ende der 1950er-Jahre entworfenen Portionskannen aus Edelstahl für Kaffee und Tee, eingesetzt in der Gastronomie. In einem Video der Berliner Stiftung Industrie- und Alltagskultur, das auch in der Ausstellung gezeigt wird, erklärt sie die funktionalen Überlegungen, die zur Form führten. Da wären der ergonomisch begründete Henkel oder der durch „Aufschlagen“ zu öffnende sowie durch leichtes „Antippen“ wieder zu schließende Deckel am Scharnier – allesamt Annehmlichkeiten für ein leichtes Hantieren in der professionellen Großküche. Sie weist aber auch auf schleichende Vereinfachungen und Qualitätsverluste späterer Fertigung hin: So wurde etwa der Grat am Deckelrand, der während der Pressung entsteht, nicht mehr entfernt und bildet so eine Zäsur in dem ansonsten formschlüssigen Zylinder der Kanne.
Zu teuer für den Haushalt
Ganz bewusst ist in der Ausstellung dieses und weiteres Tischgerät aus Edelstahl zeitgleichen internationalen Entwürfen gegenübergestellt, etwa durch Wilhelm Wagenfeld in Westdeutschland. Während dieser allerdings den Einsatz preiswerten Edelstahls, massenhaft unter dem Markennamen „Cromargan“ vertrieben, einer demokratisierten Tischkultur als Ersatz für teures Silber empfahl, blieb der in der DDR kostspielige Chromnickelstahl vorrangig der Gastronomie vorbehalten. Auch weitere Gestaltungen Petroff-Bohnes – Besteck, Glas, Meißen-Porzellan – werden eher nicht in eine breite Alltagskultur gewirkt haben, sondern von Nutzer:innen ästhetisch anspruchsvoller Haushaltswaren geschätzt worden sein. Das erkannte auch die um Exklusivität bemühte fränkische Firma Rosenthal, die Petroff-Bohne 1988, also noch vor dem Ende der DDR, um dann aber nicht realisierte Entwürfe bat.
Damit erschöpft sich aber nicht ihr Werk: Zu entdecken wären etwa die städtebaulich freiraumplanerische „Arbeitsumfeldgestaltung“ für eine Fabrik in Haldensleben von 1977 oder, bereits 1969, die Innenraumgestaltung mit Edelstahlprismen eines Hotels in Burg. Sowie eine wache Designtheoretikerin, die schon mal das ikonische, 1924 von Marianne Brandt entworfene Bauhaus-Teekännchen als Kunst bezeichnet – und nicht als gelungene Produktgestaltung.
Die Schönheit der Form. Die Designerin Christa Petroff-Bohne: bis 24. Oktober, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe
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