Die hintergründige Tittenbar

Uraufführung in Bremen: Enis Macis „Wüst oder Die Marquise von O.... Faster, Pussycat, Kill! Kill!“ ist ein ungewöhnliches Stück Gedankentheater, das manchmal zu nah an seinen Vorlagen bleibt. Aber dafür ist es mitunter saukomisch

Die Spielenden werden zu Phasen von Gedanken, hier: Mirjam Rast und Justus Ritter Foto: Jörg Landsberg

Von Benno Schirrmeister

Als moralische Anstalt erweist sich das Theater Bremen gerade als total kontraproduktiv. Während draußen die Ord­nungs­hü­te­r*in­nen redlich bemüht sind, das Viertel gegen Autoposer abzuriegeln, feiern sie auf der Bühne des Kleinen Hauses fröhliche Urständ. Auf einer Karre aus rosa Neonröhren bringen sich Varla, Rosie und Billie tüllberüscht in Stellung – Ci­ne­as­t*in­nen kennen diese Figuren als die drei Pussycats.

Sie sind erzböse und werden, ganz wie in Russ Meyers trashigem Schwarz-Weiß-Film „Faster Pussycat, Kill! Kill!“ von 1966, dank einer handbetriebenen, von Marlene Lockemann wunderschön gestalteten Drehbühne ein echtes Autorennen fahren, staubig, schweißtreibend, saugefährlich. Und jawoll, mit tödlichem Ausgang: Ihrem Rivalen, dem Heteroheldenmann, gespielt von Emil Borgeest, brechen sie das Genick. Tommy heißt der im Film, aber durch ihn hindurch schimmert hier die Gestalt von Heinrich von Kleists Graf F., „Obristlieutenant vom t…n Jägercorps, und Ritter eines Verdienst- und mehrerer anderen Orden“. Also des Vergewaltigers der Marquise von O.

Zwar ist der Begriff der Transfiguration dusseligerweise theologisch besetzt, als Verklärung. Aber viel besser als solche Wunderlichkeiten beschreibt er doch, wie die Dramatikerin Enis Maci ihre Personen für das Stück „Wüst“ gestaltet, das am vergangenen Freitag am Theater Bremen in der Regie von Elsa-Sophie Jach uraufgeführt wurde: Maci bringt nämlich Texte miteinander ohne Rücksicht auf dünkelhafte Niveau-Behauptungen in Dialog – hier die kanonische Novelle und das B-Movie, das seit den 1980er-Jahren oft als feministische Empowerment-Story gelesen wird. Dabei legt sie einzelne ihrer Ak­teu­r*in­nen wie Diapositive übereinander. Im Bild, das so entsteht, lassen sie sich nicht auseinanderhalten. Ihre Identität ist nicht fluide, sondern sie ist ein Fluidum.

Das ermöglicht ihnen, geschmeidig wie Virginia Woolfs Orlando, von einer Geschichte in die nächste zu gleiten und wie geölt durch die Epochen zu flutschen, vom Jahr 1808 fastforward in die Beinahe-Gegenwart: Die Zeiten ändern sich ja – und sie selbst die Personen in ihnen, sagt das Sprichwort. So kommt die etwas starr blickende Carlotta Freyer als Marquise von O-Punkt dank der Begegnung mit den drei Pussycats dazu, ihr bei Kleist per Heirat dann doch glücklich erdrücktes zartes Aufbegehren am Ende konsequent auszuagieren. Sprich: Sie macht alle nieder, das schreckliche Trio inbegriffen.

Verkörperte Gedanken

Dessen Fähigkeit wiederum, in die Sattelzeit um 1800 hineinzuragen, als Rachegöttinnen, vereindeutigt die Kleist’sche Erzählung: Enis Macis Drama nutzt sie vor allem als ein Instrument zur Analyse patriarchaler Herrschaft. „willkommen in der gewalt“, so lautet denn auch der erste Satz des Monologs, den Sofia Elena Borsani, Judith Goldberg und Mirjam Rast als kaum voneinander unterscheidbare Varla, Billie und Rosie sprechen.

Sein zweiter Satz fängt ähnlich entschieden an, „willkommen in den worten“, um sich aber dann zu weiten, „und den taten die aus ihnen folgen“, sich also zu verzweigen, in den Sprecherinnen, sich selbst zu kommentieren: „nicht unweigerlich“. Dieser Hirnstrom vereinigt sich schließlich zum chorischen Sprechen: „guckt mal: da sind wir ja schon: in weiche haut geschlossene von frauenduft umnebelte nachgiebig-unnachgiebige körper“.

Die Bühne, die Spielenden, werden zu Phasen von Gedanken, zu deren Verkörperung. Den Bühnenraum besetzt die Frage danach, wie es möglich werden kann, aus dieser Rolle, Frau zu sein, herauszufallen (und sie damit zu bestätigen): durch ausgelebte Gewalt, die selbst ermächtigt; durch die die Handlung der Novelle gliedernden strategischen Ohnmachtsanfälle der Marquise.

Macis Zugriff macht sichtbar, dass diese Frage abstrakt die beiden Vorlagen verbindet, in beider Maschinenraum röhrt. Ungebrochen sind sie nie präsent: Dank Cantufan Kloses cooler, schon in mehreren Bremer Theater-Produktionen erprobter Live-Videotechnik erodiert die Schwelle zwischen leibhaftigem Auftritt und übertragener Projektion sehr zielstrebig: Das bewirkt eine Reinigung des Raums von seiner symbolischen Bestimmtheit. Er kann sowohl der einen als auch der anderen Geschichte als Spielort dienen, er ist Gegenwart und Vergangenheit zugleich, espace lisse, glatter Raum im Sinne von Gilles Deleuze und Félix Guattari. Also wüste Wüste oder geschliffene Festung.

Blitzartige Witzchen

Mitunter fast zu nah an den Texten, fast zu detailliert, erzählen die Dar­stel­le­r*in­nen – im Programmheft wird gegen den Buchstaben aber ganz im Sinne des Textbuchs konsequent auf eine Rollenzuweisung verzichtet – die beiden Geschichten aus: Das zerfällt auch ein wenig. Erst kommt die von der unbemerkten Schwangerschaft der Marquise, die per Zeitungsannonce den Mann sucht, der sie erst vor Soldatenhorden gerettet und dann während ihrer Ohnmacht in „gesegnete Leibesumstände“ versetzt hat, wie es im Euphemismus des 19. Jahrhunderts heißt.

Dann das Wüstenrennen und schließlich, der auch bei Meyer selbst eher zähe Aufenthalt der drei autonomen und gewaltbereiten Frauen bei der mutterlosen und amoralischen Wüstenfamilie, verkrüppelter Vater, Sohn und Sohn: Denen wollen die Pussycats die Kohle aus der Unfallrente klauen, die der Alte in seinem Rollstuhl bunkert. Der will die jungen Frauen missbrauchen und töten, zwecks Rache.

Nun ja. Das hätte straffer gekonnt. Dafür aber werden auf dieser Plattform die Slapstick-Momente zu erfüllenden Theateraugenblicken: Blitzartige Witzchen, die Justus Ritter vor allem in der Mutterrolle gelingen. Wunderschöne Tanzeinlagen von Emil Borgeest, die alle mitreißen. Borgeest nämlich spielt den Grafen, spielt den Tommy – und nimmt auch den Part der Pussycats in sich auf: Russ Meyer hatte, des Sexploitation-Effekts halber, seinen mörderischen Protagonistinnen zugewiesen, sich als Tänzerinnen in einer Tittenbar zu verdingen. Deren laszive Posen, im gesamten Film präsent, sind hier dem Körper der einzigen Männerrolle eingeschrieben.

Vordergründig mag das saukomisch wirken. Aber es ist eben mehr als das. Und deshalb richtig gut.

Wüst: wieder am 7. 10., 20 Uhr, und am 24. 10., 18.30 Uhr, Theater Bremen