„Man muss an vielen Stellen diplomatisch agieren“

Die Direktorin der Bremer Stadtbücherei Barbara Lison ist Präsidentin des Weltbibliotheksverbands IFLA. Im Februar 2019 gewählt, hat sie das komplizierte Amt zwischen Fachlichkeit und Politik Ende August satzungsgemäß nach zweieinhalb Jahren Anwartschaft angetreten

Bücherei von Chongqing: Bibliotheken sind Orte, in denen die Grenzen von Wirklichkeit und Utopie verschwimmen können Foto: Foto:Liu Chan/dpa

Interview Benno Schirrmeister

taz: Frau Lison, Haben Sie eine Lieblingsbibliothek?

Barbara Lison: Diese Frage wird mir öfter gestellt …

Weil es ein bisschen eine Fangfrage ist, an Sie als Präsidentin des Weltbibliotheksverbandes IFLA?

Ja, wenn ich eine nenne, sind nachher alle anderen eifersüchtig. Ich riskiere es trotzdem: Ich habe zwei Lieblingsbibliotheken. Meine eigene ist meine Lieblingsbibliothek, die Stadtbibliothek hier in Bremen. Und dann gibt es noch eine wunderschöne Bibliothek auf Helgoland. Eine ganz kleine, herrliche Bibliothek, wo man aufs Wasser gucken kann, mit netter Bestückung von Literatur und auch netter Sitzgelegenheit. Die steht sozusagen völlig außer aller Konkurrenz.

Ist das Amt der IFLA-Präsidentin besonders schwer?

Es ist ein besonderes Amt. Und in der Pandemiezeit ist es wahrscheinlich auch besonders schwer. Immer ist es ein kompliziertes Amt, weil es zwischen Fachlichkeit und Politik angesiedelt ist. Man muss an vielen Stellen sehr diplomatisch agieren, weil man die Bibliotheken der Welt repräsentiert. Das tut man nicht in einem Vakuum.

Worin liegt die besondere Herausforderung?

Das Thema Demokratie und die Menschenrechte betrachten wir Bibliothekare als höchstes Gut unseres Arbeitsauftrags. Es gibt in dieser Welt Länder, in denen das zu Problemen führt. Wenn ich in ein solches Land eingeladen werde, dann ist mein Präsidentinnenamt ein hochpolitisches, denn es geht darum, diese Werte unterzubringen, ohne die Gastgeber vor den Kopf zu stoßen.

Hat das Amt deshalb so einen kuriosen Wahlmodus, bei dem Sie von der Wahl an zwei Jahre lang bis zur Ernennung als designierte Präsidentin firmieren mussten?

Nein, diese zwei Jahre sind nicht dafür gedacht, mal eben zu lernen, wie man sich in nichtdemokratischen Ländern verhält. Die dienen eher dazu, die amtierende Präsidentin zu entlasten, denn es gibt in unserem Verband ja keine Vizepräsidentin.

In Ihrem Bewerbungsschreiben nennen Sie als ein Ziel, die Bibliotheken weltweit stärken zu wollen. Welche Möglichkeiten dazu haben Sie?

Wir können als internationaler Verband uns nicht aktiv einmischen in nationale Gegebenheiten. Das ist klar. Aber wir haben die wichtige Aufgabe, die Verbände in den einzelnen Ländern zu stärken. Wir können ihnen Möglichkeiten geben, in ihren jeweiligen Ländern aktiv zu sein, die Bibliotheken miteinander ins Gespräch zu bringen, sie mit ihren Wirkungen auch wieder zu propagieren, um finanzielle und politische Unterstützung zu bekommen. Wir können außerdem den Bibliotheksbeschäftigten klarmachen, dass es nützlich ist, sich zu vernetzen, um Interessen durchzusetzen. Das stützen wir. Wir fördern Nachwuchs – sowohl in den Bibliotheken als auch in den jeweiligen Verbänden. Und es geht um die Stärkung der Position der Bibliotheken in der Gesellschaft.

Foto: Lars Kaempf

Barbara Lison

64, ist seit 1992 Direktorin der Stadtbibliothek. Seit 27. August hat sie das Amt einer Präsidentin der International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA) inne, zu dem sie im Februar 2019 gewählt worden war.

Was bedeutet das?

Da kann ich Ihnen ein Beispiel nennen: Wir haben uns bei der Formulierung der Nachhaltigkeitsziele der Uno als internationaler Verband eingebracht.

Mit Erfolg?

Unsere Position war stets zu betonen, dass übers Ziel der Bildung hinaus die Erreichung dieser Ziele insgesamt von der qualitativ guten Informiertheit der Bevölkerung abhängt. Dazu aber tragen Bibliotheken sehr viel bei. Dafür wecken wir ein Bewusstsein – und geben Anregungen fürs Handeln an die nationalen Verbände weiter.

Befragen Bibliotheken dabei auch ihre eigene Nachhaltigkeit? Es gab mal eine Phase, in der wurde sehr viel in Spiele-DVDs investiert – plus Equipment, das ratzfatz veraltet. Hat das nachgelassen?

Na, wenn Sie von Spielen sprechen, dann geht es um öffentliche Bibliotheken – und die schaffen ohnehin nicht für die Ewigkeit an. Was man aber dann macht, um die DVDs zu entsorgen, weil es die entsprechenden Geräte nicht mehr gibt, um sie abzuspielen, oder weil sie zu zerkratzt sind, das ist ein weiterer Punkt. Auch da müssen wir bestimmten Regeln folgen. Aber das beginnt auch schon beim Buch – weil viele unserer Bücher in Folien eingeschlagen sind.

Das ist ein Problem?

Ja. Anders als noch vor zehn Jahren fragt man sich heute a) welche Folien sind das?, und b) was macht man, wenn die Bücher ausgemustert werden und auch auf dem Flohmarkt keine Käu­fe­r*in­nen finden? Die mussten wir früher als Sondermüll entsorgen wegen dieser Folien. Auch solche fachlichen Einzelthemen werden in unserer Föderation in entsprechenden Arbeitsgruppen behandelt, unseren „Sections“.

Die Digitalisierung macht viel davon einfacher, lässt aber auch die Frage stellen, ob Büchereien in Zukunft noch als Raum existieren müssen?

„Der öffentliche Raum, kombiniert mit Inhalten – danach gibt es eine Sehnsucht“

Die Kombination aus Inhalt, freiem, nutzbarem Raum für unterschiedliche Zwecke und eben dem Raum selber, das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Der Bibliotheksraum ist ein Raum, wo Menschen hingehen. Und es werden immer viele physische Medien genutzt.

Wirklich?

Es ist erstaunlich,wie in der Pandemie – auf der ganzen Welt übrigens – die Leute an physischen Medien nach wie vor Interesse haben. Aber noch wichtiger ist der Bedarf an Räumen, an öffentlichem, nichtkommerzialisiertem Raum. Ein echter „Dritter Ort“ eben. Hier treffen sich viele Leute miteinander in der Bibliothek und genießen einfach den ruhigen, inspirierenden Raum, wo ich einen Teil meiner Freizeit verbringen kann, um mich selber zu orientieren – und zu verwirklichen.

In der Bücherei?

Das geht natürlich nicht, wenn sie einfach nur eine Theke hinstellen. Deswegen gibt es seit jetzt sicher 20 Jahren auch die Tendenz, Bibliotheken als eine Art Wohnzimmer einzurichten. Der öffentliche Raum, kombiniert mit Inhalten – danach gibt es eine Sehnsucht. Es war geradezu erschütternd, als wir am 4. Mai 2020 nach sechs Wochen Schließung wieder geöffnet haben, wie die Menschen zu uns geströmt sind und gesagt haben: Endlich können wir wieder zu euch rein. Und das erfahren wir in der ganzen Welt.