Alle Befürchtungen bestätigt

Die Londoner wussten es schon lange: ihre U-Bahn ist sehr gefährdet

EDINBURGH taz ■ Erwartet hatten britische Regierung und Polizei den Anschlag seit langem. London galt – nach New York – wegen der britischen Teilnahme am Irakkrieg als gefährdetste Stadt der Welt. Dass die U-Bahn der wahrscheinlichste Ort für eine Attacke war, wusste man ebenfalls. Die „Tube“, wie die Londoner ihre U-Bahn nennen, transportiert drei Millionen Passagiere täglich. Wenn sie ausfällt, stürzt London ins Chaos, wie man gestern gesehen hat.

Wie aber schützt man ein U-Bahn-System vom Umfang Londons? Die britische Transportpolizei hat voriges Jahr begonnen, Plakate zu kleben mit dem Text: „Wem gehört diese Tasche? Falls sie Ihnen verdächtig vorkommt, melden Sie es!“ Der damalige Verteidigungsminister Geoff Hoon rief die Nation auf, die traditionelle „britische Reserviertheit“ zu überwinden und mit den anderen Passagieren zu sprechen, falls einem etwas nicht geheuer ist. Die erste große Zivilschutzübung haben die Sicherheitskräfte kurz vor dem zweiten Jahrestag der Terroranschläge in den USA durchgeführt, als sie einen Chemieanschlag auf die Londoner U-Bahn simulierten. Hunderte Rettungskräfte übten die Evakuierung einer U-Bahn-Linie im Finanzbezirk der Sieben-Millionen-Stadt. Das Szenario der Terrorübung entsprach dem Gasanschlag, den die Aum-Sekte 1995 mit dem Nervengas Sarin auf die U-Bahn in Tokio begangen hatte. Bei dem Anschlag waren zwölf Menschen getötet und über dreitausend verletzt worden.

Die Londoner Polizeieinheit, die für öffentliche Verkehrsmittel zuständig ist, ist allerdings hoffnungslos unterbesetzt. Es gibt lediglich zwei Spezialfahrzeuge, die verdächtige Pakete untersuchen können. Polizeichef John Stevens bezeichnete einen Terroranschlag auf London damals als „unvermeidlich“. Die Sunday Times berichtete nach der Übung, dass die vertrauliche Planung vorsehe, bei einem unmittelbar drohenden oder bereits erfolgten Terrorangriff Bewohner der Metropole in ländliche Regionen zu bringen und dort in Notunterkünften einzuquartieren. Dabei müssen auch besondere Essgewohnheiten der Evakuierten im Zusammenhang mit Religion oder Gesundheit berücksichtigt werden.

Bei dem G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles, der heute Abend zu Ende geht, wollten die Regierungschefs der sieben führenden Industriestaaten und Russlands über eine enge Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung reden. Es geht dabei vor allem um den Austausch von Daten, Akten und Fingerabdrücken. Man wolle bis an den Rand des von Datenschutzgesetzen Erlaubten gehen, sagte US-Sicherheitsminister Michael Chertoff.

Vor allem aus Russland erhoffte man sich Aufschlüsse über den Schutz der U-Bahn, während Japan die Erkenntnisse aus der Nervengasattacke der Aum-Sekte auf die U-Bahn in Tokio von 1995 beisteuern sollte. Für London kommen diese Informationen nun zu spät.

RALF SOTSCHECK