Die tristen Pathosformeln der Militanz

ARABIEN Dokus, kurze Spielfilme und experimentelle Arbeiten: Die Filmreihe „Arab Shorts“ zeigt im Arsenal Werke der vielfältigen arabischen Filmszene, die in ihren Heimatländern fast unsichtbar ist

Die Wut ist da, auch der Kinderwagen fällt wieder die Treppenstufen hinunter, nur die Revolution bleibt (noch) aus

VON LUKAS FOERSTER

Ein junger Mann baut sich vor der Kamera auf, auf dem Kopf ein Cowboyhut, im Gürtel stecken zwei Revolver. Im Hintergrund Sandhügel und ein vereinzelter Baum, eine Landschaft nicht unähnlich den mediterranen Wüsten, in denen in den Sechzigerjahren hunderte von Italowestern entstanden. „John Wayne“, sagt der Mann auf Arabisch, „war ein Held.“ Und dann beschwert er sich, dass er in seinen Filmen nie einen Helden darstellen durfte.

„Scheiß auf alle Filme aus meinem Land!“ So beginnt „The Shooter“, ein achtminütiger Kurzfilm der jungen Regisseurin Ihab Jadallah, der die tristen Pathosformeln attackiert, in denen die Repräsentation palästinensischer Militanz gefangen ist, und der gleichzeitig ein Gegenbild kreiert: den wütenden Cowboy, der alleine in der Wüste steht und über seine Plastikpistolen schimpft.

Die Filmreihe „Arab Shorts“, die vom 2. bis 5. Juli im Arsenal zu sehen ist, zeigt die ironische Metafiktion „The Shooter“ als Teil des Programms „Independent Film from Palestine“. Die Serie macht es sich zur Aufgabe, die geläufige visuelle Repräsentation nicht nur des Israel-Palästina-Konflikts, sondern der gesamten arabischen Welt zu erweitern um Positionen, die weder in der Perspektive europäischer Nachrichtenmedien noch in der „offiziellen“, also fast durchweg der Zensur unterworfenen Kulturproduktion der arabischen Staaten aufgehen.

Seinen Ausgang nahm das Projekt im Jahr 2009: Um der immer größer werdenden, aber nach wie vor in ihren Heimatländern fast unsichtbaren unabhängigen arabischen Filmszene eine Plattform zu verschaffen, organisierte das Goethe-Institut in Kairo das erste „Arab Shorts“-Filmfestival. 2010 und 2011, also unmittelbar vor und unmittelbar nach Beginn des arabischen Frühlings, folgten zwei weitere Ausgaben; das Festival selbst existiert leider nicht mehr, jetzt versucht das Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit dem Arsenal die Festivalfilme in Deutschland sichtbar zu machen. Das Arsenal übernimmt insgesamt 61 Filme in den Verleih, nach der ersten Präsentation in Berlin gehen sie auf Deutschlandtour.

Das Programm umfasst Dokumentarfilme, kurze Spielfilme und auch experimentelle Arbeiten aus dem Bereich der Videokunst. Was fast vollständig fehlt, sind jene Bilder, die seit letztem Frühjahr zuerst das Internet, dann die Fernsehnachrichten und inzwischen auch die Filmfestivals erobert haben: die Selbstbilder der Revolution vom Tahrirplatz, das immersive Home-Video-Material von Straßenschlachten. Viele Filme des Programms sind ganz im Gegenteil von Gesten der Distanzierung geprägt, die gut passen zu scheinen zu der Ernüchterung, die sich ein Jahr nach der Revolte nicht nur in Ägypten und Syrien breit gemacht hat.

Sandra Madis Dokumentarfilm „Full Bloom“ etwa breitet eine gebrochene Biografie aus, die sich nicht so einfach durch den einen, großen Aufstand wieder gerade rücken lässt. Der Film porträtiert Faraj Darwish, einen talentierten Boxer, der es eigentlich schon geschafft hatte: Darwish gewann 2004, mit 21 Jahren, die arabische Boxmeisterschaft und schien eine große Karriere, womöglich sogar im internationalen Profigeschäft, vor sich zu haben. Nachdem er sich 2006 bei einem Wettkampf weigerte, gegen einen israelischen Boxer anzutreten, wurde er von seinem Nationalverband suspendiert und lebt jetzt wieder bei seiner Familie in einem palästinensischen Flüchtlingslager. Von den Triumphen der Vergangenheit bleiben nur verwaschene Fernsehbilder. Ähnlich pessimistisch ist die tunesische Produktion „Le cuirasse Abdelkarim“, ein originelles 8-Minuten-Remake von Eisensteins Klassiker „Panzerkreuzer Potemkin“. Die Wut ist da, auch der Kinderwagen fällt wieder die Treppenstufen hinunter, nur die Revolution bleibt (noch) aus.

„We Began by Measuring Distance“, von Basma Al-Sharif, eine der überragenden Arbeiten des Programms, führt die Distanzierung schon im Titel. Eine erratische Montage aus Bild, Ton und Text – die Untertitel führen ein ästhetisches Eigenleben – nähert sich dem Nahostkonflikt über eine anonyme Gruppe von Landvermessern und schließt gleichzeitig einen (gleichfalls anonymen) Kriegsschauplatz kurz mit einem Aquarium: Bombenabwürfe blühen am nächtlichen Himmel auf wie giftig leuchtende Quallen.

■ Arab Shorts, bis 5. Juli im Arsenal