: Schrille Fotos auf Klostermauern
Arles, die kleine Stadt in der französischen Provence, zeigt sich modern im historischen Gewand. Innerhalb der Mauern befinden sich die meisten römischen Bauwerke außerhalb von Rom. Das benachbarte Beaucaire setzt auf Kunsthandwerk
VON MARIE URDIALES
„Natürlich kommen die meisten wegen van Gogh hierher“, lacht Pierrette, die Reiseführerin. „Aber bevor sie merken, dass kein einziges Bild von ihm hier ausgestellt ist, haben sie sich längst aus ganz anderen Gründen in Arles verliebt!“ Denn Licht und Farben, die den Maler einst verführten, strahlen immer noch über die Stadt.
Heute gehört Arles zu den kulturell reichsten Orten des französischen Südens, und die Gegend gilt für viele immer noch als eine der schönsten der Welt. Viel ist geschehen, und viel passiert immer noch, seit die ersten Römer sich unter Julius Cäsar hier niedergelassen haben.
Im Gegensatz zu van Gogh haben die römischen Herrscher viele Spuren hinterlassen, die sich imposant der Bewunderung des Besuchers hingeben. Die wenigsten wissen es, aber innerhalb der Mauern dieser Stadt findet man heute die meisten römischen Bauwerke nach … Rom! Amphitheater und Bäder, Forum und Siegessäulen …
„Man darf sich aber nicht von dieser ganzen Pracht blenden lassen“, fährt Pierrette lächelnd fort. „Diese Stadt hat mehr zu bieten und will langsam entdeckt werden! Il faut flâner!“ Und führt uns, abseits vom touristischen Trubel und den sommerlichen Stierkämpfen, in kühle Gassen und an die Ufer der Rhône zum Flanieren.
Fast unbemerkt entfernen wir uns dabei etwas vom Zentrum, und nach einem kurzen Spaziergang an einem kleinen, schattigen Kanal stehen wir vor einer Allee einstiger Grabsteine. Les Alyscamps, ein ehemaliger Friedhof, den van Gogh einst malte und dessen romantische Stille heute Verliebte aller Generationen suchen. „Hier ist die ganze Geschichte der Stadt konzentriert!“, erklärt Pierrette. Der Friedhof stammt noch von den Römern und wurde nach und nach von den Christen vereinnahmt. So sind hier alle Jahrhunderte von der Antike bis zur Moderne vertreten.
Der Kühle der Bäume folgend flanieren wir bis zu einer im 12. Jahrhundert erbauten Kirche, in der Baumeister aller Epochen nach und nach ihre Talente erprobt haben. Die Eglise Alyscamp ist überraschend und erzählt viel über die bewegte Vergangenheit Arles’. Hier entdeckt man sowohl romanische Architektur als auch Spuren der Renaissance, Merkmale des Barock und vieles mehr.
Zurück in der Innenstadt, stellt der Besucher fest, dass sich diese Vielfalt der Baustile auch in den diskreten Herren- oder den bescheidenen Gotteshäusern wiederfindet und zuweilen unerwartete Formen annimmt. Im Hôtel d’Arlatan zum Beispiel, einem Drei-Sterne-Hotel aus dem 15. Jahrhundert in der Nähe des Hauptplatzes, kann man direkt unter seinen Füßen Reste römischer Architektur bewundern, die unter dem Gebäude entdeckt wurden und nun, von einem dicken Glasboden geschützt, die Hotelbar schmücken. Ein Glas in der Hand, 2.000 Jahre Geschichte unter den Schuhsohlen … ein schwindelerregendes Gefühl!
Mit dieser Art von Stilmischung spielt Arles schon seit ein paar Jahren. Überall vermischen sich Geschichte und Gegenwart, Kunst und Alltag, Hochkultur und Spaß. Arles, Hochburg der Fotografie und der Musik, öffnet beispielsweise regelmäßig während der Festivals die Türen seiner Prachtbauten, um Platz für Ausstellungen und Konzerte zu machen. So kann man während der „Rencontres Internationales de la Photographie“ (Anfang Juli) schrille japanische Fotos auf würdigen Klostermauern bewundern oder bei „Les Suds à Arles“ (zweite Julihälfte), in Liegestühlen ruhend, mitten im Garten des ehemaligen Krankenhauses van Goghs klassischen Klängen aus der ganzen Welt lauschen. Arles heute, das ist zeitgenössisches Leben in einer geschichtlichen Schatulle.
Ein paar Kilometer von Arles flussaufwärts kommt man nach Beaucaire. Weniger bekannt als Saint-Rémy-de-Provence oder Les Baux-de-Provence ist der Ort mit seinem malerischen Yachthafen mitten in der Stadt und der herrlich renovierten, strahlenden Altstadt nie in die Fallen des Massentourismus getappt. „Viele, die sich hier niedergelassen haben, wollten bewusst auf Qualität setzen“, erzählt Lina Castro, Direktorin des Tourismusbüros. Sie war zehn Jahre lang Hafenkapitän von Beaucaire und kennt ihre Stadt besonders gut. „Daher haben wir auch so gut wie keine Campingplätze oder große Hotels, aber dafür viele ganz auserlesene Gästezimmer in alten provenzalischen Häusern oder Spezialitätenrestaurants in ganz außergewöhnlichen Gebäuden.“
Immer noch mehr Geheimtipp als klassisches Reiseziel, findet man außerdem in Beaucaire und Umgebung noch Traditionen, die andernorts langsam verschwinden oder nur noch für die touristische Saison ausgegraben werden. Hier aber leben die Menschen das ganze Jahr über für ihre Pferde und Stiere, pflegen die Kunst der Korbflechterei wie einst ihre Ahnen, halten einen Hof wie im 19. Jahrhundert oder haben alte kunsthandwerkliche Spezialitäten wie provenzalischen Stühlebau oder die Arbeit mit dem Eisen aufleben lassen. Sogar ein Weingut, das wie zu Zeiten der Römer arbeitet, findet man bei Beaucaire.
„Den Menschen hier sind ihre Traditionen wichtig. Sie sind stolz darauf, in der Camargue zu leben, und empfinden ihre Feste und Veranstaltungen wie einen wichtigen Bestandteil ihrer Kultur, nicht als Mittel zur Touristenunterhaltung“, so Lina Castro.
Und tatsächlich: Die schönsten Feste der Provence finden hier statt, ob die Korbflechtertage im August in Vallabrègues oder die unvorstellbaren Stierrennen – hundert Stiere werden in den Straßen freigelassen! – im Juli.
Anreise: mit dem TGV von Paris nach Arles oder mit dem Flugzeug bis nach Marseille oder Montpellier und anschließend mit dem Zug. Von Arles bis Beaucaire regelmäßige Busverbindungen (ca. 15 km). Tourismusbüro: Arles www.ville-arles.fr, (00 33) 4 90 18 41 20, Beaucaire www.ot-beaucaire.fr, (00 33) 4 66 59 26 57. Essen & Übernachten: Hôtel d’Arlatan, www.hotelarlatan.com, außerdem Le Mas Lafont in Beaucaire, provenzalisches Haus, sehr schön gelegen und komfortabel, www.masdelafont.com. „Le Phénicien“ ist ein Hausboot der gehobenen Preiskategorie, das zwischen Arles und Bellegarde bei Beaucaire über die Rhône reist (www.rhone-croisiere.com). Empfehlenswerte Restaurants: La table de Marguerite – sehr schönes Restaurant im Grünen bei Beaucaire, mit provenzalischen Spezialitäten und selbst angebautem Gemüse. Die Auberge l’Amandin liegt ebenfalls bei Beaucaire, mit erlesener Fischkarte und regionalen Spezialitäten, Quartier Saint Joseph, Tel. (00 33) 4 66 59 55 07.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen