: „Sie fesselt alle“
Leylah Annie Fernandez aus Kanada ist der neueste Favoritinnenschreckin der Tennisszene. Die 19-Jährige steht im Halbfinale der US Open
Von Jörg Allmeroth
Am Ende des nächsten verrückten US-Open-Tages meldete sich dann auch Basketball-Legende Magic Johnson mit einem Zwischenruf zur Tennislage zu Wort. Wer die aufregendste Spielerin bei diesem Grand-Slam-Turnier noch nicht gesehen habe, so Johnson, habe „wirklich etwas verpasst“. Und weiter: „Sie fesselt die ganze Welt.“
Johnsons tiefe Verbeugung galt der 19-jährigen Kanadierin Leylah Annie Fernandez, deren unwahrscheinlicher Triumphzug im Billie Jean King Tennis Center am Dienstagabend einen neuen Höhepunkt erreichte – mit dem dramatischen 6:3, 3:6, 7:6 (7:5)-Sieg über die Weltranglisten-Fünfte Elina Svitolina (Ukraine) und dem verblüffenden Vormarsch ins New Yorker Halbfinale.
Wo sich inzwischen alle US-Stars und -Sternchen in die Grand-Slam-Arbeitslosigkeit verabschiedet haben, ist die furchtlose Teenagerin aus Montreal zum neuen Liebling der Fans im Big Apple aufgestiegen. „Ich weiß gar nicht mehr, was ich dazu sagen soll. Es ist alles überwältigend“, erklärte Fernandez nach ihrem letzten Coup. Im Halbfinale trifft sie am Donnerstag auf Aryna Sabalenka aus Weißrussland.
Fernandez wird schon länger als Riesentalent im Tourzirkus gehandelt, ihre Qualitäten sind den Branchenexperten keineswegs verborgen geblieben. Aber der Siegeslauf der technisch hervorragend ausgebildeten Linkshänderin bei diesen Offenen Amerikanischen Meisterschaften verblüffte die Tennisszene denn doch. „Sie hatte eine mörderisch schwere Auslosung. Sie in der zweiten Turnierwoche zu vermuten, wäre eine verrückte Wette gewesen“, gab Ex-Star Chris Evert zu Protokoll. Doch Fernandez bestach von der ersten US-Open-Minute an mit ihrem kontrollierten Spiel, bei dem sie Power ideal mit der nötigen Präzision mixte.
Zuerst bezwang sie die ehemalige Top-20-Spielerin Ana Konjuh (Kroatien) und die mehrfache Grand-Slam-Viertelfinalistin Kaia Kanepi aus Estland, dann folgte der erste große Überraschungsmoment mit dem Erfolg gegen Titelverteidigerin Naomi Osaka. „Sie tritt auf, als wäre sie seit vielen Jahren an der Spitze dabei – wie eine erfahrene Grand-Slam-Spielerin“, adelte John McEnroe die 19-Jährige aus Montreal, „sie ist ihrem eigentlichen Alter weit voraus.“
Leylah Annie Fernandez nach ihrem Sieg über Elina Svitolina
Fernandez spielt nicht nur erfolgreich an ihren guten Tagen. Sondern auch dann, wenn es nicht gleich wie gewünscht läuft. Gegen die frühere New-York-Königin Angelique Kerber geriet „Darling Leylah“ (New York Post) im Achtelfinale mit 4:6 und 2:4 ins Hintertreffen, ehe sie zu einer formidablen Aufholjagd ansetzte und im dritten Satz wie im Rausch aufspielte. „Ich konnte nichts mehr machen. Sie war absolut überragend“, sagte Kerber hinterher, „sie spielt so frei, wie man das nur in diesem Alter kann.“ Mit dem hart erkämpften Sieg gegen Svitolina, immerhin die Bronzemedaillengewinnerin von Tokio, ist Fernandez nun die jüngste New Yorker Halbfinalistin seit Maria Scharapowa im Jahr 2005. „Schon ein wenig unwirklich“ seien diese Tage bei den US Open, sagte Fernandez, „es ist, als ob ich in einem Traum lebe, der nicht aufhört.“
In der Weltrangliste rückt Fernandez, die von ihrem Vater Jorge gecoacht wird, einem früheren ecuadorianischen Fußballprofi, näher an die Besten der Branche heran. Im sogenannten Live-Ranking, in das die aktuellen US-Open-Ergebnisse einfließen, wird die Teenagerin bereits auf Platz 36 geführt, ein gewaltiger Sprung seit dem New Yorker Start von Platz 73 aus.
Der Aufstieg erleichtert auch die Planung für die kommenden Monate, Qualifikationsmatches wie noch bei den Vorbereitungsturnieren auf die US Open muss Fernandez künftig nicht mehr bestreiten. Bei den Topwettbewerben, wo Herren und Damen gemeinsam aufschlagen, wird sie so auch regelmäßig ein vertrautes Gesicht aus Montreal treffen – Félix Auger-Aliassime, den 20-jährigen Kollegen, der mit seinem Aufgabesieg gegen Spaniens nächste Hoffnung, Carlos Alcaraz, ebenfalls ins US-Open-Halbfinale einzog. „Das sind denkwürdige Tennistage für unser Land“, sagt Tom Tebbutt, die kanadische Reporterlegende.
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