Genosse Trend

Die SPD holt laut Umfragen rasant auf und liegt nur noch knapp hinter der Union. Aus dem Zweikampf zwischen Union und Grünen wird ein Dreikampf

Beim Kampf um das Kanzleramt schien lange klar, dass er zwischen Union und Grünen entschieden wird. Das hat sich, wenn man den Umfragen von Kantar, Forsa und Infratest dimaptraut, nun deutlich verändert. Die SPD, die lange als chancenlos galt, liegt nur noch rund ein, zwei Prozentpunkte hinter der Union und drei, vier Prozent vor den Grünen.

Aus dem Duell scheint sechs Wochen vor der Wahl jetzt ein Triell zu werden – mit recht guten Karten für die SPD und Olaf Scholz. Denn der liegt bei der Frage, wer Deutschland regieren soll, nun weit vor der Konkurrenz. Laut ARD-„Deutschlandtrend“ wollen 41 Prozent der Befragten Scholz, sechs Punkte mehr als vor drei Wochen. Den Unions-Kandidaten Armin Laschet wollen nur noch 16 Prozent, Annalena Baerbock von den Grünen 12 Prozent. Bemerkenswert ist, dass Scholz auch bei FDP-Anhängern mehr Sympathien genießt als Laschet – obwohl der in NRW eine schwarz-gelbe Regierung führt.

Die Trendumkehr hat bereits in der zweite Julihälfte begonnen. Laut Forschungsgruppe Wahlen lag die Union Mitte Juli in der politischen Stimmung – also den Rohdaten, die keine langfristige Parteibindungen berücksichtigen – noch 10 Prozent vor der SPD, Anfang August aber nur noch ein Prozent. Der Sog Richtung SPD scheint vor allem eine frustrierte Abkehr von der Union und den Grünen zu sein – vor allem von deren unglücklich agierenden KandidatInnen.

Bei Laschet reißt die Kette negativer Bilder nicht ab. In einem aktuellem Clip, der in sozialen Netzwerken steil geht, wird er nach Themen gefragt, die nach der Wahl am wichtigsten sind. Er nennt Digitalisierung und Bürokratieabbau für mehr Klimaschutz. Eine dritte Sache? „Ja, was machen wir noch?“, fragt sich Laschet leutselig – und wirkt wie eine Witzfigur.

In der Union wächst die Nervosität. CSU-Chef Markus Söder verlangt von Laschet schon lange mehr Angriff auf die Konkurrenz. Aber Attacke gehört nicht zu den Stärken des jovialen NRW-Ministerpräsidenten. Die CDU versucht nun ihre Klientel zu mobilisieren, indem sie die FDP angreift. „Wer FDP wählt, muss in Kauf nehmen, dass er am Ende mit Esken und Kühnert am Kabinettstisch aufwacht“, twittert CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Ob das als Schreckensbild verfängt, ist fraglich. Die Union selbst regiert ja seit Jahren recht lautlos mit der SPD, deren Co-Chefin Saskia Esken ist. In der SPD-Spitze rechnet man fest damit, dass sich der Trend weg von Union und Grünen und hin zur SPD verfestigen wird. Angriffe auf Esken hält man für keine große Gefahr für die SPD.

Die Union startet am Samstag offiziell auf einer Berliner Veranstaltung mit Laschet, Söder und Merkel ihren Wahlkampf. Als letzte Option will die Union Ängste vor Rot-Grün-Rot schnüren. Eine solche Wiederauflage der Rote-Socken-Kampagne wäre aber wohl vor allem ein Zeichen dafür, wie tief die Ratlosigkeit der Union ist.

Stefan Reinecke