Schlaflos vorm Hartz-IV-Termin

MARTIN KÜNKLER

Not macht erpressbar. Und wenn ich weiß, im Falle von Arbeitslosigkeit kommt der freie Fall ins Nichts – das diszipliniert Arbeitnehmer. Um nicht zu sagen, das macht es extrem schwierig, im Betrieb für die eigenen Interessen einzutreten. Es gibt Entsolidarisierungstendenzen. Die fallen ja auch nicht vom Himmel. Ich finde schon, dass auch in der Politik in den letzten Jahren propagiert wurde: Jeder ist seines Glückes Schmied.

Ich war irgendwann Mitte der Neunziger selbst länger arbeitslos. Es ging noch. Mir ist aber mittlerweile klar: Kollegen, die irgendwie mit 45, 50 arbeitslos werden – das ist eine ganz andere Situation als nach dem Studium. Ein klassischer Verlauf wäre: Die Kündigung flattert ins Haus – und die Leute fallen erst mal in ein Riesen-Loch. Warum ich? Dann denkt man ja auch: Irgendwas habe ich falsch gemacht. Wir von den gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen versuchen den Kollegen immer einzureden: Das ist kein individuelles Problem, das ist ein gesellschaftliches, wenn Millionen Arbeitsplätze fehlen. Wenn dann die Arbeitslosigkeit länger andauert, sackt die Kurve total in den Keller. Resignation macht sich breit, und auch die Folgen von Arbeitslosigkeit, gesundheitlicher Natur, psychische Probleme.

Vor 20 Jahren gab es noch relativ gute Angebote im Sinne von Qualifizierung. Da gab es auch noch diesen Ansatz, zu gucken: Was können die Leute, was wollen die Leute.

Aus meiner Sicht war ja so der Kern von Hartz IV, nicht nur Geld sparen zu wollen, sondern auf dem Arbeitsmarkt so eine Dynamik hinzukriegen, dass Menschen gezwungen sind, sehr prekäre, ungeschützte Arbeitsverhältnisse einzugehen und auch schlechte Löhne anzunehmen. Wenn es so ist, dass die Produktivität steigt und weniger Arbeitsstunden gebraucht werden, braucht man eine Arbeitsumverteilung. Das ist, glaub ich, ein ganz zentraler Punkt – ist aber im Moment nicht so en vogue.

Aus Sicht der Erwerbslosen ist Hartz IV zu wenig Geld. Von 359 Euro kann man nicht leben. Weitere Forderung wäre, allgemein formuliert, ein anderer Umgang mit Arbeitslosen. Ganz viele Arbeitslose sagen uns: Wenn die einen Termin mit der Hartz-IV-Behörde haben – die schlafen die Nacht vorher nicht. Oder gehen da mit Bauchgrummeln hin. Weil das eine sehr konfliktbeladene Situation ist, wo man sich nicht auf gleicher Augenhöhe aufgehoben fühlt, sondern wo praktisch Kontrolle, Schikane, Misstrauen im Vordergrund stehen.

Hinweis: Martin Künkler, 41