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Anklagen im Neukölln-KomplexBrandstiftung soll vor Gericht

Nach vielen Pannen soll zwei hauptverdächtigen Neonazis in Kürze der Prozess gemacht werden. Die Frage ist: Reichen die Beweise?

Anschlag auf das Auto des Linken-Politikers Ferat Kocak Foto: dpa

Berlin taz | Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat gegen die zwei Hauptverdächtigen der rechtsextrem motivierten Anschlagsserie in Neukölln Anklage erhoben. Sie wirft Sebastian T. und Tilo P. gemeinschaftliche schwere Brandstiftung an den Autos des Linken-Lokalpolitikers Ferat Kocak und des Buchhändlers Heinz Ostermann im Februar 2018 vor. Außerdem sollen die beiden Neonazis im März 2019 mehrere Hauseingänge vermeintlicher politischer Geg­ne­r*in­nen mit Drohungen wie „9 mm für …“ besprüht haben.

Laut einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft ging die Anklage beim Erweiterten Schöffengericht Tiergarten bereits im Mai ein; erst jetzt aber erhielten die Ankläger Kenntnis darüber, dass sie den Beschuldigten auch zugestellt wurden. Zuerst hatten am Montag der RBB und die Berliner Morgenpost über die Anklageerhebung berichtet.

Bereits im August 2020 standen die beiden Verdächtigen wegen Schmierereien und Sachbeschädigung vor Gericht, weil sie im Sommer 2017 in Südneukölln Parolen wie „Mord an Heß“ sowie das Konterfei des Hitler-Stellvertreters gesprüht haben sollen. Der Prozess wurde allerdings vertagt und ruht seitdem, weil ein als Zeuge geladener Ermittler nur eine beschränkte Aussagegenehmigung hatte.

Im Februar hat die Staatsanwaltschaft erneut Anklage gegen Sebastian T. und drei weitere Personen wegen Schmierereien und Sachbeschädigungen in einem ähnlich gelagerten Fall erhoben. Die bislang schon angeklagten Taten sollen mit den neuen Vorwürfen zusammengeführt werden und in eine gemeinsame Hauptverhandlung münden.

Lange Haft möglich

Wenn das Gericht die Anklage in allen Punkten zulässt, dürfte ein langer Indizienprozess folgen, der bereits in wenigen Monaten starten könnte. Eine Verurteilung könnte lange Haftstrafen nach sich ziehen. Die beiden Verdächtigen waren im Dezember in Untersuchungshaft gekommen. Gegen T. wurde diese im Januar gerichtlich aufgehoben, da die Beweislage nicht ausreichte; auch P. ist unter Auflagen vom Vollzug verschont.

Unmittelbare Beweise für die Brandstiftungen gibt es weiterhin nicht, aber eine lange Indizienkette, der die Staatsanwaltschaft weitere, bisher unbekannte hinzufügen konnte, heißt es beim RBB. Laut Informationen der taz wurden seitdem Erkenntnisse auch weiterer Sicherheitsbehörden noch einmal nebeneinandergelegt und verdichtet. Ein beschlagnahmter Laptop von T. konnte allerdings immer noch nicht geknackt und ausgewertet werden.

Als dringend tatverdächtig gelten beide schon seit Jahren. Allein der letzten Anschlagsserie werden zwischen 2016 und 2018 mehr als 70 Taten zugerechnet, darunter 23 Brandstiftungen, zumeist gegen antifaschistisch engagierte Menschen. T. und P. hatten 2018 wenige Tage vor der Brandstiftung bei Kocak, die nur mit viel Glück nicht auf das Haus übergegriffen hatte, den Politiker ausgespäht und waren ihm hinterhergefahren. Die Sicherheitsbehörden hatten es versäumt, Kocak über die Bedrohungslage zu informieren. Auf einem weiteren Datenträger von T. waren Ermittler auf eine Feindesliste mit Daten von über 500 Personen gestoßen.

Die Verdächtigen sind Teil der rechtsextremen Szene: Sebastian T. ist seit Mitte der Nullerjahre als Neonazi aktiv und war Vorsitzender der NPD Neukölln. Tilo P. soll bereits 2003 an einem Neonazi-Überfall beteiligt gewesen sein und war später im Kreisvorstand der AfD Neukölln. Doch Ermittlungen, die sich früh auf sie fokussierten, verliefen im Sande.

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) lobte am Montag die „gute Ermittlungsarbeit“. Es habe sich „gelohnt, frischen Wind in die Ermittlungen zu bringen“. Der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader äußerte sich zurückhaltender: „Ob bei den Ermittlungen gegen T. und P. wirklich genug für eine Verurteilung herausgekommen ist, halte ich für offen. Nach allem, was passiert ist, bin ich da vorsichtig.“

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1 Kommentar

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  • Das ganze Verfahren steht inzwischen unter einem zu großen politischen Druck. Ich kenne zwar die Beweise bzw. Indizien nicht, halte jedoch eine Verurteilung angesichts der Historie für sehr unwahrscheinlich. Insoweit teile ich die Einschätzung von Herrn Schrader.