Galerist der neunten Kunst

Im „Raum 404“ zeigt Gregor Straube Comics, die den Rahmen der Bilderfolgen-Kunst erweitern, verschieben, sprengen. Für triviale Roman-Adaptionen hat er dagegen nur Verachtung übrig

Gregor Straube in seiner Galerie Foto: Hannes von der Fecht

Von Jens Fischer

Hip ist woanders. Bedrohlich eingequetscht wirkt dieses Miniquartier im hansestädtischen Großstadtgetue zwischen Hochstraße Breitenweg, B 6, der Daniel-von-Büren-Rennstrecke und der Agentur für Arbeit. Es gibt keine Passanten, nur vorbeirasende Menschen. Ein Grund zum Stoppen ist das Geschehen hinter einer griesegrauen Metalltür. Mit Klebeband drauf fixiert ist die Zahl 404, legendärer Error-Code für im Internet nicht gefundene Inhalte.

Ein Klempnerei-Schild rostet daneben vor sich hin. „Kräftig klopfen“ steht auf einem Zettel. Also kräftig klopfen … und es öffnet sich der Blick in die einstige Werkstatt, spärlich lichtdurchflutet, geschmückt von einer Sitzecke mit Sperrmüllsesseln sowie kleinen Bilderfolgen an und großen Gemälden auf den wohl im Feierabendrausch hochgezogenen Wänden. Alle sind schief, kein rechter Winkel, nirgends, als wären sie frei aus der Hand gezeichnet. Der „Raum 404“ ist Bremens einzige Comic-Galerie.

„Als der Besitzer des Handwerksbetriebs starb, wurde hier dichtgemacht, alles blieb zehn Jahre liegen und verrottete“, erklärt Hausherr Gregor Straube. „2017 habe ich den Schrott und das Gerümpel entsorgt und meine Galerie hierher verlegt.“ Mitgemietet hat er für schlappe 680 Euro warm im Monat die 400 Quadratmeter verwilderten Garten hinterm Haus, plus Garage, Lagerschuppen und zwei als Ateliers untervermietete Räume. Der Galerist residiert im ehemaligen Meisterbüro. Neben Seminaren und Lesungen verantwortet er vier bis fünf Ausstellungen pro Jahr mit erfrischend schräg die Comic-Grenzen auslotender grafischer Kunst.

Zu erleben ist, dass Comic-Zeichner/-Illustratoren abseits der Vorurteile Kinderkram, Trivialunterhaltung, Schmuddellektüre oder Blasenfutter für Analphabeten einfach komplizierte Kunst wie auch Literatur oder etwas Eigenes kreieren und dabei ihre Autonomie bewahren können dank der unkomplizierten Herstellung der Werke.

Wie in allen künstlerischen Genres sei zwar auch bei Comics das meiste Mist, sagt Straube, „aber alles andere kann großartiger Scheiß sein“. Nischenprodukte, wie Straube sie schätzt. Zeigte er bisher doch Underground-, Independent- und Subkultur-Comics sowie ihre Fanzines aus Frankreich, Belgien, Südafrika, Mexiko oder Amerika. Am liebsten abgefahrene, experimentelle Sachen: Comichefte ohne Figuren, Sprechblasen und erzählte Handlung. Die neunte Kunst kann auch als rein sequenzielle verstanden werden, die in einer abstrakten Bildfolge die Entwicklung von dunkel zu hell oder einen Farbverlauf zeigt. In anderen Publikationen geht es um Rhythmen grafischer Muster. Manchmal driftet manische Detailfreude in visuelles Chaos. Befreit vom Eskapismus der Narration sucht der Betrachter von Panel zu Panel nach Verbindungen, repetitiven Zeichen, sich fortsetzenden Mustern. Das seien immer Reflexionen über das Medium, Diskurse über die Form der Comics, so Straube. Sowas kaufe er selbst gern. „Aber Lucky Luke und Asterix finde ich heute auch noch cool, schätze auch sehr die Lovecraft-Adaptionen von Alberto Breccia und gehe gern in die Stadtbibliothek, die eine gute Comic-Auswahl hat.“

Straubes erste Ausstellung im „Raum 404“ bestückte er mit seiner kleinen Privatsammlung an Siebdrucken, Zeichnungen und experimentellen Comics: Werke, die ihm Künstler geschenkt haben. Seit elf Jahren ist er nun als Galerist aktiv. „Ich bin da während meiner Arbeitslosigkeit reingerutscht, als ich in der Spedition beim Folk-Art-Now-Festival mitgemischt hatte und dachte, das kann ich auch, also Ausstellungen planen, organisieren, finanzieren, durchführen.“ Er habe halt ein geschmackssicheres Auge. Dann habe er mit einer Schau von elf Fotografien von Jay Henry Fairs angefangen. Der publiziert mit ökologischem Impetus großformatige Luftaufnahmen von Umweltzerstörungen und gewinnt ihnen eine ästhetische Schönheit ab: Aus großer Distanz wirken sie wie abstrakte Gemälde.

Der heute 48-jährige Straube ist Sozialwissenschaftler. Seine Gender-Studies-Promotion an der Uni Oldenburg hat er abgebrochen, um in der kunstpädagogischen Jugendbildung zu arbeiten. Seine heutigen Aktivitäten sind auch nur dank Querfinanzierung mit einer halben festen Stelle als Ausbildungsbegleiter für Jugendliche möglich. „Mein Brotjob“, analysiert er. Leben würde er gern Vollzeit als Galerist, also Bilder aufhängen und verkaufen. Aber dafür fehle ein offenes, neugieriges Publikum. „Hier gibt es vielleicht 40 Leute, die sich dafür interessieren, was ich hier mache.“ Deswegen freue ihn die überregionale Anerkennung: „Es kommen Leute aus Hamburg, Münster, Oldenburg und den Niederlanden und ich bekomme auch Aufträge, in anderen Städten Ausstellungen zu kuratieren.“ Wenn er pro Tag drei, vier Besucher im „Raum 404“ habe, sei er zufrieden.

„Auch bei Comics ist das meiste Mist. Aber alles andere kann großartiger Scheiß sein“

Gregor Straube, Galerist

Noch bis 4. September zu erleben sind dort Künst­le­r:in­nen des 2007 gegründeten Rigaer Magazins „kuš!“. Anstatt nur ihre Zeichnungen, Grafiken und winzige getöpferte Pilze in surreal versponnener Anmutung in der Galerie zu platzieren, haben sie Wände mit ihren Figuren und grafischen Kompositionen bemalt. Die Comicstrips hinter Glas zeigen beispielsweise Partymädchen in der Ausübung ihrer Abendbeschäftigung zum Thema „Rausch“ – und am Tag danach in gerupfter Katerstimmung. Das Magazin hat in Lettland das erreicht, was Straube in Bremen versucht: Akzeptanz, Verbreitung, Popularisierung des Genres erhöhen. Dank „kuš!“ gibt es überhaupt erst eine Comickünstlerszene in Lettland. Zur Verankerung und Vernetzung in der Hansestadt gründete Straube bereits den Verein Kulturnetz mit und hat schon 20 Personen für einen Verein als Interessenvertretung der Comic-Kultur in Bremen.

Blogger, Journalisten, Verleger, Ladeninhaber seien dabei. „Auch träume ich davon, einen Bauwagen im Garten zum Wohnen aufzustellen und Künstlerresidenzen zu ermöglichen“, so Straube. Mit der Galerie will er neben fertigen Bildwelten auch Vor- und Zwischenstudien, Skizzen, aussortierte Blätter, also die Genese der Comic-Kunst zeigen und die internationalen Ur­he­be­r:in­nen auch zum Austauschen in den „Raum 404“ holen.

Comic- als Teil der Jugendkultur und erstes Bild-Massenmedium startete in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts, an seinem Ende gefolgt vom Manga-Boom in Japan. In Deutschland seien Comics noch längst nicht salonfähig in der Hochkultur und die Entwicklung hinke anderen Ländern 20 Jahre hinter, so Straube. Aber deutsche Graphic Novels sind doch gerade der Hit und feuilletonistisch beachtet?

Falsches Stichwort. Graphic Novel sei zwar ein Marketingbegriff, der gut klinge, „aber behauptet wird damit, nur dies seien wertvolle Comics“. Und das Gegenteil sei oft der Fall: „Nehmen wir Marcel Prousts ,Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‘“, doziert Straube. Das hält er einfach für „schrecklich, schrecklich, schrecklich“. Das sei Anbiederung an die bildungsbürgerliche Welt – mit der vom Knesebeck-Verlag „die Abwertung des künstlerischen Genres Comic als Ganzes“ reproduziert werde. Es gehe doch um visuelles Erzählen, „aber wenn ich diese Zeichnungen sehe, dann sieht das aus wie Tafelbildmalerei, statisch, es gibt überhaupt keine Seitendynamik“. Weit weniger innovativ als Superhelden-Comics.

„Raum 404“, Nicolaistraße 34/36, Öffnungszeiten: Do und Fr, 16–19 Uhr; Sa, 14–17 Uhr