Gefragt, gejagt

John David Washington gerät als Tourist in Griechenland in eine politische Verschwörung. „Beckett“ ist ein imposant bebilderter Thriller

Die Tour de Force zur US-Botschaft in Athen bietet immerhin viele schöne Kulissen

Von Arabella Wintermayr

Die Idylle ist schlicht zu groß, um nicht trügerisch zu sein: April (Alicia Vikander) und Beckett (John David Washington) erwachen zusammen in ihrem Hotelbett irgendwo in Griechenland. Sie malt ihm ein Herz in die Handinnenfläche, bevor sie Ruinen besichtigen und dabei ihr gemeinsam ausgedachtes Spiel spielen, in dem sie über die persönlichen Hintergründe der anderen Tou­ris­t*in­nen mutmaßen. Sie turteln in einer Taverne, probieren sich durch die gesamte Speisekarte und sind anlässlich der chaotischen Bilder aus Athen froh, einen Bogen um die von Protesten gegen die rigiden Sparmaßnahmen geschüttelte Hauptstadt gemacht zu haben.

Als sie spätnachts auf dem Weg zu ihrem nächsten Ziel im Auto sitzen und April aus unerfindlichen Gründen darauf hinweist, dass niemand außer ihnen wüsste, wo die beiden eigentlich sind, ist längst klar, dass als nächstes etwas Tragisches geschehen muss. Der von Ferdinando Cito Filomarino inszenierte Thriller legt seine Prämissen schnell offen, verwendet keine Zeit auf thematische Verästelungen oder gar eine Figurenzeichnung, die über ein Charakterisieren des Protagonisten als „durchschnittlicher US-amerikanischer Tourist“ hinausgeht.

Und tatsächlich fallen Beckett wenig später auf der kurvigen Bergstraße die Augen zu, der Wagen prescht durch die Böschung, überschlägt sich und durchbricht schließlich die Mauer eines abseitig gebauten Häuschens. Bevor er aus dem Auto klettern und nach April sehen kann, die noch am Unfallort stirbt, erblickt er noch zwei Gestalten – ein rothaariger Junge und eine erwachsene Frau – die schnell aus dem Raum eilen.

Dass er die Polizisten direkt nach den Be­woh­ne­r*in­nen besagter Hütte fragt, ist schließlich Auslöser einer ausschweifenden Hatz, die zum Hauptplot des über 100-minütigen Films erhoben wird. Als bei seiner Rückkehr an den Unglücks­ort zwei Be­am­t*in­nen auf ihn schießen, glaubt er zunächst noch an eine Verwechslung.

Bald muss er jedoch feststellen, dass er in einer politische Verschwörung gegen einen vielversprechenden linken Kandidaten geraten ist, der sich gegen die rigiden Sparmaßnahmen der Europäischen Union ausspricht und dessen Sohn gerade von Fa­schis­t*in­nen entführt worden ist. Was nach einem originellen Rahmen für einen typischen Verfolgungsthriller klingt, wird von Filomarino – der bisher hauptsächlich als Second Unit Director für den italienischen Filmemacher Luca Guadagnino („Call Me by Your Name“) in Erscheinung getreten ist – unglücklicherweise nur angedeutet.

Stattdessen verkettet der Film, der gerade auf dem Locarno Film Festival seine Premiere feierte und auf Netflix läuft, eine spektakuläre, aber stets nach dem gleichen Schema ablaufende Fluchtsequenz mit der nächsten. Trotz eines gebrochenen Arms springt Beckett von Klippen, trotz Streifschüssen und Fleischwunden klettert er aus Fenstern. Wie er als Durchschnittstyp mit nicht unerheblichen Verletzungen Flüsse durchqueren und aus großer Höhe auf das Dach eines fahrenden Pkws springen kann, bleibt schleierhaft – ihm dabei zuzusehen, verliert schnell seinen Reiz.

Seine Tour de Force zur US-amerikanischen Botschaft in Athen liefert Kameramann Sayombhu Mukdeeprom („Suspiria“) allerdings eine breite Palette an Kulissen für imposante Bilder, die Griechenlands Natur jenseits gängiger Urlaubsorte als ungewöhnlich rau bis kärglich zeigen. Zusammen mit der treibenden Filmmusik von Ryūichi Sakamoto („The Revenant“) überrascht ­„Beckett“ ausgerechnet in ästhetischer Hinsicht – dass der inhaltlich wiederum sehr flache Thriller nun in das Programm von Netflix aufgenommen wird, ist wiederum – pardon – wie Eulen nach Athen zu tragen.

„Beckett“. Regie: Ferdinando Cito Filomarino. Mit John David Washington, Alicia Vikander u. a. Italien/Brasilien/Griechenland/USA 2020, 108 Min. Läuft auf Netflix