Vom „guten Weg“ abgekommen

Die Coronapandemie bringt Bremen mehr Arbeitslose, mehr Kurz­ar­bei­te­r*in­nen und weniger Minijobs – die Arbeitnehmerkammer fordert nun ein Qualifizierungsgeld für alle, die einen Abschluss nachholen wollen

Rund 5.000 geringfügig entlohnte Arbeitsverhältnisse gingen nach Gewerkschaftsangaben 2020 in Bremen verloren. Die Zahl der Minijobs sank um acht Prozent auf 55.200.

Bundesweit gingen 870.000 Minijobs laut Bertelsmann-Stiftung in der Pandemie verloren.

Betroffene haben keinen Anspruch auf Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld.

Von Jan Zier

Die Lage am Bremer Arbeitsmarkt hat sich durch die Coronapandemie massiv verschärft: Nie zuvor waren so viele Beschäftigte von Kurzarbeit betroffen, der Ausbildungsmarkt brach ein, Arbeitslosigkeit wie Langzeitarbeitslosigkeit sind gestiegen. Das geht aus dem ersten Erwerbslosigkeitsbericht hervor, den die Arbeitnehmerkammer nun vorgelegt hat. „Wir brauchen eine Qualifizierungsoffensive für das Land Bremen“, sagt nun Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer.

Gerade Ge­ring­ver­die­ne­r*in­nen und Beschäftigte ohne Berufsabschluss hätten weniger Chancen auf eine Weiterbildung. Schierenbeck fordert deshalb von der rot-grün-roten Landesregierung, ein Qualifizierungsgeld einzuführen. Das solle allen Menschen in Bremerhaven und Bremen zur Verfügung stehen, die einen beruflichen Abschluss nachholen wollen – Hartz-IV- und Arbeitslosengeld-Empfängern ebenso wie Beschäftigten. „Mit einem Qualifizierungsgeld wäre eine längere Phase der Weiterbildung auch für Geringverdiener attraktiv“, sagt Schierenbeck.

Außerdem solle die Landesregierung die Möglichkeiten öffentlich geförderter Beschäftigung besser nutzen. So sollten diejenigen, die auf dem zweiten Arbeitsmarkt untergekommen sind, auch die Chance auf einen Berufsabschluss bekommen. Das Teilhabechancengesetz des Bundes solle dafür mit einem Landesprogramm ergänzt werden, das Langzeitarbeitssuchenden hilft, sich während der Förderung noch entsprechend zu qualifizieren.

Zu Beginn der Pandemie sei Bremen noch „auf einem recht guten Weg“ gewesen, so Schierenbeck. „Es gab deutliche Zuwächse bei der Beschäftigung, die Zahl der Arbeitslosen ging langsam zurück und auch die Langzeitarbeitslosigkeit sank kontinuierlich.“ Ein deutliches Missverhältnis zwischen Arbeitskräfteangebot und Nachfrage habe auch schon vor der aktuellen Krise bestanden: Vergleicht man die Zahl der gemeldeten Arbeitssuchenden mit der der Stellenangebote, begann Bremen 2020 mit einem Defizit von etwa 52.000 Jobs.

Zwei Drittel der Arbeitslosen in Bremen verfügen laut Arbeitnehmerkammer nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Bei den Langzeitarbeitslosen seien es etwa 70 Prozent. In den kommenden Jahren werden die Babyboomer in die Rente gehen, während der Strukturwandel nach neuen Fachkräften verlangt. „Wir könnten bald in eine paradox erscheinende Situation kommen, in der offene Stellen nur schwer oder gar nicht besetzt werden können, während das Niveau der Arbeitslosigkeit steigt“, warnt die Arbeitnehmerkammer.