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Wie die wilden Kerle

Sven-Åke Johansson spielt Jazz, macht Krach und malt. Einiges davon kann der Maler Albert Oehlen auch. Das tun sie gern gemeinsam. Eine Fortsetzungsgeschichte live und auf DVD

Performance anlässlich der Plattenveröffentlichung von „Rhythm Ace & Slingerland – A concept by Albert Oehlen and Sven-Åke Johansson“ Foto: def image

Von Robert Mießner

Es war keine Halluzination, als am Freitagabend vergangener Woche der schwedische Improvisationsmusiker Sven-Åke Johansson zeitgleich mit zwei Performances erlebt werden konnte. Einmal war er leibhaftig zugegen, an einem ungewöhnlichen Schlagzeugaufbau mit nicht mehr als zwei Hi-Hats und einem selbst gebauten Papiermegafon, durch das Johansson zu Beginn seines Auftritts kommentierte, was auf eine Videoleinwand hinter ihm projiziert wurde.

Da war wiederum zu sehen, wie der Maler Albert Oehlen einen hölzernen Klappstuhl in seine Einzelteile zerlegte, während der Leinwand-Johansson dabei Schlagzeug spielte.

Der Clou dabei: Das Video lief ohne Ton, der Sound des Drummers zum Zerstörungswerk seines Malerkollegen ließ sich nur erahnen. Zu hören aber war der Bühnen-Johansson, wie er das malträtierte Möbelstück anredete: „Der Behördenstuhl, der Beamtenstuhl.“ Freundlich klang das nicht, auch wenn Johansson an den Hi-Hat-Becken nicht den Berserker gab. Nacheinander griff er zu Jazzbesen, Schlägeln und Sticks, entlockte seinem Instrument Swingminiaturen, dezente Industrieklänge und ein Glockenspiel.

Das Video ist 2017 in der Galerie Max Hetzler in Charlottenburg entstanden. Mit Sven-Åke Johanssons Auftritt feierte man die Veröffentlichung einer Künstlerschallplatte mit Albert Oehlen. Seit Ende April ist bei Max Hetzler Oehlens Ausstellung „Unverständliche braune Bilder“ zu sehen. 21 neue Arbeiten, die mit einer Prise Assoziationsfreudigkeit alles andere als unverständlich sind und mit der Musik Johannsons, der sowohl als Komponist als auch als Autor und bildender Künstler arbeitet, korrespondieren. „Rhythm Ace & Slingerland“ heißt ihr Album, aufgenommen wurde es im Mai 2019 in der Hamburger Elbphilharmonie. Das Konzert gehörte zu einer Ausstellung in den Deichtorhallen, die sich dem Wechselspiel von Musikern und bildenden Künstlern widmete. Das begleitende Musikfestival „Hyper! Sounds“ wurde von dem ehemaligen Spex-Chefredakteur Max Dax ausgerichtet, er hat auch die Liner Notes des Albums geschrieben.

Dax erklärt dort den vollständigen Albumtitel: „Rhythm Ace & Slingerland – A concept by Albert Oehlen and Sven-Åke Johansson“. „Rhythm Ace“ ist eine ab Mitte der sechziger Jahre produzierte Vintage-Rhythmusmaschine der japanischen Marke Ace Tone. Oehlen ist passionierter Sammler solcher Geräte und hatte sie Johansson anlässlich eines Atelierbesuchs gezeigt. Auf dem Innencover des audiophilen Albums ist einer dieser Rhythmusgeber abgebildet. Viel scheint die Maschine nicht zu können, da sind zwei Tasten: „2Beat“ und „4Beat“. Albert Oehlen: „Ich sammele Drum Machines, weil ich diese Widersprüchlichkeit faszinierend finde, dass man Geräte sammelt, die möglichst wenig können. Eine Drum Machine ist für mich umso attraktiver, je unfähiger sie ist.“

„Slingerland“ wiederum ist zweierlei: Einerseits ist es der Markenname von Johannsons Schlagzeug. Die 1912 gegründete Slingerland Drum Company hat legendäre Jazz- und Bigband-Drummer wie Gene Krupa und Buddy Rich beliefert. Und dann ist da „Schlingerland/Dynamische Schwingungen“, ein frühes Soloalbum Sven-Åke Johanssons, erschienen auf dem Westberliner Label FMP, der Adresse für europäischen Free Jazz.

Die Geschichte dazu und dahinter erzählt der anderthalbstündige Film „Blue for a Moment“, in dem der Maler und Filmemacher Antoine Prum Sven-Åke Johansson porträtiert: die Anfänge in einer schwedischen Marching Band, die für Johansson desaströse Tour mit dem Third Stream-Komponisten Ran Blake und die Einladung von Peter Brötzmann und Peter Kowald, doch aus dieser Misere zu ihnen nach Wuppertal zu kommen. 1968 war Johansson dann einer der beiden Drummer auf dem stilbildenden Album „Machine Gun“ des Peter Brötzmann Oktetts, im selben Jahr ging er nach Westberlin.

Dort entstand die „Moderne Europäische Dorfmusik“, Johanssons Verknüpfung von Free Jazz und freier Improvisation. Bereits in den siebziger Jahren kooperierte Johansson mit Free-Jazz-Musikern aus der DDR.

Unbedingt empfehlenswert ist die Amiga-LP „Bergisch-Brandenburgisches Quartett“ mit Ernst-Ludwig Petrowsky, Hans Reichel und Rüdiger Carl. Carl, der vielleicht ausdauerndste Mitstreiter Johanssons, ist einer der Interviewpartner in „Blue for a Moment“. In einer der schönsten Szenen spielt er ein elegisches Akkordeon und pfeift dazu, während Johansson mit dem Geigenbogen auf Karton sägt und zum Abschluss zu zwei riesigen Schallbecken greift. Wie ein Schmetterling sieht er dabei aus und lässt die Becken aufeinander zufahren. Sie sind mit Schaumstoff bespannt, der große Knall findet im Kopf statt.

Am Freitag hat Sven-Åke Johansson seine Performance beendet, in dem er die Hi-Hat-Becken über den Galerieboden kreisen ließ. Nachdem sie sich ausgescheppert hatten, hielt er einen Moment inne.

Rhythm Ace & Slingerland – A concept by Albert Oehlen and Sven-Åke Johansson (Ni-Vu-Ni-Connu / Galerie Max Hetzler)

Blue for a Moment von Antoine Prum. DVD plus CD Barcelona Series: Andrea Neumann, Axel Dörner, Sven-Åke Johansson + Rüdiger Carl (Ni-Vu-Ni-Connu)

Albert Oehlens Ausstellung „Unverständliche braune Bilder“, bis 14. August bei Max Hetzler, Goethestraße 2/3

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