Die Wahrheit: Als Blair mit Adams unterm Baum lag
Was die Akteneinsicht von Regierungsunterlagen des Jahres 1997 zeigen: Tony Blair hatte noch viel weniger Ein- und Durchblick als gedacht.
D ie britischen Regierungspapiere, die im Londoner Nationalarchiv gesammelt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, sind manchmal recht aufschlussreich. Man erfährt zum Beispiel, wie dämlich Politiker oft sind. Leider muss man Jahrzehnte auf die Veröffentlichung warten.
Jetzt war das Jahr 1997 dran. Damals, im Zuge des nordirischen Friedensprozesses, kam es in der Weihnachtszeit zum ersten Treffen zwischen Premierminister Tony Blair und dem Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams. Das war nicht unumstritten, denn die Irisch-Republikanische Armee (IRA), in der Adams eine führende Rolle spielte, auch wenn er das bis heute bestreitet, existierte noch. Vor Blairs Amtssitz in der Londoner Downing Street stand ein beeindruckender Weihnachtsbaum.
Das machte Blairs Berater Alastair Campbell Angst. In einem Memorandum schrieb er, man müsse überlegen, ob man wirklich Fotos von Adams neben einem Weihnachtsbaum wolle: „Wir müssen uns ohnehin schon wegen seines Besuches verteidigen. Wollen wir uns zusätzliche Probleme aufhalsen, wenn Adams wegen des Baumes als Mann des Friedens erscheint?“ Am Ende klemmte er sich obendrein einen Mistelzweig zwischen die Zähne!
Blairs Berater hielten ihre Landsleute offenbar für naiv. Hätte sich Saddam Hussein mit Flügeln aus schwarzer irakischer Seide fotografieren lassen, hätten ihn die Engländer für den Erzengel Gabriel gehalten? Blair hat von Campbells Sorgen aber nichts mitbekommen, er ließ Adams neben dem Weihnachtsbaum posieren.
Dem ist einiges entgangen
Es gibt einiges, was dem Premier entgangen ist. Im Mai 1997 äußerte sich Blair in einer Presseerklärung bedauernd über die irische Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts, die in Wirklichkeit ein Genozid war, da die britische Regierung riesige Mengen an Fleisch und Getreide aus der irischen Kolonie exportierte, die ausgereicht hätten, die Katastrophe zu vermeiden.
In Irland nahm man Blairs Bedauern wohlwollend zur Kenntnis. Tatsächlich wusste Blair aber weder etwas von der Erklärung, noch hatte er etwas von der Hungersnot gehört. Sein Privatsekretär John Holmes hatte die Erklärung verfasst, da die Zeit drängte und Blair nicht erreichbar war. Und eine wirkliche Entschuldigung sei es ja nicht gewesen, meinte Holmes.
Für die gefälschten Beweise als Grund für den Irakkrieg hat sich Blair auch nicht entschuldigt. Eine Woche nach Kriegsbeginn im März 2003 hatte er in einem Brief an seinen Freund George W. Bush geschrieben: „Das ist der Moment, in dem man die internationalen Prioritäten für die nächste Generation bestimmen kann: die wahre Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges.“
Was man damals für eine wahnsinnige Machtfantasie hielt, hatte vielleicht gar nichts mit Blair zu tun. Wusste er womöglich nichts von dem Irakkrieg, hatte Holmes für ihn zur Feder gegriffen? Auf die Antwort müssen wir noch ein paar Jahre warten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!