Trauer und Selbstkritik in Srebrenica

Anlässlich des 10. Jahrestages des Massakers von Srebrenica gedenken 30.000 Menschen der Opfer. UNO entschuldigt sich für ihr Versagen bei den Hinterbliebenen. EU-Parlamentarierdelegation fordert Brüssel zu mehr Engagement im Westbalkan auf

AUS SREBRENICAERICH RATHFELDER

Da horchten die rund 30.000 Trauernden in Srebrenica auf. Denn am 10. Jahrestages des Massakers von Srebrenica entschuldigte sich der Generalsekretär der UNO, Kofi Annan, bei den Hinterbliebenen der Opfer. „Die Vereinten Nationen haben vor zehn Jahren große Schuld auf sich geladen“, erklärte Mark M. Brown, Abgesandter des Generalsekretärs, gestern auf dem Gelände des Mahnmals für die Opfer des Massakers in Potocari. Aufgrund einer falschen Einschätzung der politischen Lage und der damaligen Position, die UNO müsse im Krieg in Bosnien unparteiisch bleiben, „haben wir damals die falschen Maßnahmen ergriffen“.

Selbst die Angehörigen vor den 610 aufgebahrten Särgen von Opfern, deren Überreste in Massengräbern gefunden und deren Identität in langwierigen Analysen im vergangenen Jahr festgestellt worden war, klatschten da Beifall. Den erhielt der serbische Präsident Boris Tadić, der eine Viertelstunde zu spät auf der Veranstaltung erschienen war, nicht. Ruhig reihte er sich bei den Prominenten ein und blieb hinter seinem kroatischen Amtskollegen Stipe Mesić stehen. Hätte er das Wort ergriffen, hätte ihm das wohl in Serbien noch mehr Kritik eingebracht. Denn die Mehrheit des Belgrader Parlamentes hatte sich schon vor Monaten gegen seinen Besuch in Srebrenica ausgesprochen. Eine offizielle Entschuldigung Serbiens ohne das Votum des Parlaments ist für ihn jedoch nicht möglich.

Bei den meisten Reden fiel es den Menschen sichtlich schwer, zuzuhören. Wie im vergangenen Jahr forderten der britische Außenminister Jack Straw, der amerikanische Sondergesandte auf dem Balkan, Pierre Prosper, oder der Chef der Weltbank, Paul Wolfowitz, die Leiden der Opfer des „größten Massakers nach dem Zweiten Weltkrieg“ zu sühnen und Radovan Karadzić und Ratko Mladić, als die Hauptverantwortlichen der Massaker, vor Gericht zu bringen.

„Jedes Jahr dieselben Worte, die ohne Konsequenzen bleiben“, flüsterte enttäuscht eine der Frauen. Doch immerhin hat sich bei dem Drumherum der Feierlichkeiten etwas bewegt. Die Frauen von Srebrenica hatten schon am Vorabend Tadeuz Mazowiezki feierlich einen Preis verliehen. Der ehemalige Menschenrechtsbeauftragten der Vereinten Nationen hatte vor zehn Jahren aus Protest wegen des Massakers sein Amt niedergelegt. Mit Unterstützung der Nichtregierungsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker organisieren sie zudem einen Kongress, bei dem neueste Untersuchungen über den Genozid in Bosnien vorgestellt werden.

Vielen Besuchern ist bewusst, dass zehn Jahre nach dem Friedensschluss von Dayton das Land endlich neue staatliche Strukturen und damit eine Verfassungsänderung braucht. Der österreichische Diplomat Wolfgang Petritsch, der ehemalige Hohe Repräsentant, will im Herbst eine internationale Konferenz über die Zukunft Bosniens abhalten. Und auch die Grünen, die schon im Vorfeld eine Resolution des EU-Parlaments, in der Verfassungsänderungen in Bosnien gefordert werden, auf den Weg brachten, wollen in diese Richtung weiter diskutieren und das Land auf seinem Weg nach Europa unterstützen.

Die Delegation des Europaparlaments, angeführt von Daniel Cohn-Bendit, forderte die EU auf, die Region Westbalkan nicht zu vernachlässigen. „Es geht dabei nicht um eine Erweiterung Europas, sondern um eine Vereinigung Europas“, erklärte Cohn-Bendit in Sarajevo und schlug eine Balkankonferenz vor, um Lösungen für Bosnien und Kosovo zu finden.

Dieser Vorschlag löste allerdings heftige Proteste bei den bosnischen Diskussionsteilnehmern aus, die keineswegs mit dem Kosovo in einen Topf geworfen werden wollen. Die ehemalige Bosnienaktivistin und jetzige Ausländerbeauftragte Deutschlands, Marieluise Beck, hält unterschiedliche Initiativen für beide Länder für angemessener.

„Die großen Politiker versprechen viel, doch in Srebrenica und den umliegenden Dörfern ist ganz wenig konkrete Hilfe angekommen. Wo also sind die Gelder geblieben?“, fragt die aus Salzburg stammende Doraja Eberle, die seit vierzehn Jahren treibende Kraft der unabhängigen Hilfsorganisation „Bauern helfen Bauern“ ist. Diese arbeitet mit nur wenigen Mitteln sehr effektiv mit Kleinbauern in der Region zusammen. „Jetzt verspricht Wolfowitz Hilfe“, sagt Eberle. „Warum hat die Weltbank nicht schon vor zehn Jahren etwas getan?“