Kraft aus Gemeinschaften

Ein Journalistenduo bereiste Schauplätze von Klimakatastrophen und schrieb darüber einen sehr subjektiven und emotionalen Reisebericht

Von Ute Scheub

Das junge Journalistenduo Theresa Leisgang und Raphael Thelen beschäftigt sich seit längerer Zeit mit der Klima­krise. Leisgang hat unter anderem dreckige Ölgeschäfte am Amazonas recherchiert, Thelen Reportagen aus dem Irak, Marokko und der Arktis geschrieben. Immer mehr wurde ihnen bewusst, dass vor allem die Menschen im globalen Süden mit den Folgen der Klimakatastrophe kämpfen. So reifte ihr Plan heran, 2020 einmal quer durch alle Klimazonen zu reisen, 20.000 Kilometer von Südafrika bis zur Arktis, um diese Menschen zu treffen.

Um es vorwegzunehmen: Die Pandemie machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Weiter als Malawi kamen sie zunächst nicht. Überall wurden Einreisesperren verhängt, sodass sie nach Deutschland zurückflogen, eine längere Pause einlegten und schließlich über Großbritannien nach Schweden und in den Polarkreis weiterreisten.

Ihr ungewöhnlicher Reisebericht erschien unter dem Titel „Zwei am Puls der Erde – Eine Reise zu den Schauplätzen der Klimakrise und warum es trotz allem Hoffnung gibt“. Ungewöhnlich nicht nur wegen der Schauplätze, sondern auch wegen der subjektiven Form. Die beiden machen sich als Personen nicht unsichtbar, wie es sonst im Journalismus üblich ist. Sie bringen sich mit Haut und Haaren und allen Ich-Empfindungen und Gefühlen ein. Und analysieren dabei auch die Verschränkungen von Rassismus und Sexismus mit der Klimakrise.

„Am Puls der Erde“ waren die beiden in der Tat. In Südafrika erlebten sie eine katastrophale Wasserknappheit. Sie reisten nach Kapstadt, weil dessen Be­woh­ne­r:in­nen „in den vergangenen Jahren etwas erlebt haben, das vielen Orten weltweit noch bevorsteht: Day Zero, der Tag, ab dem die Wasserleitungen trocken bleiben.“ Die Stadtregierung richtete ab 2018 rund 200 Zapfstellen ein, unternahm aber sonst nichts, um die historischen Ungerechtigkeiten der Apartheid zu überwinden: Weiße Reiche durften weiter Rasen sprengen und Swimmingpools füllen, während Schwarze Nachbarschaften schon länger gezwungen waren, verunreinigtes Wasser zu trinken. Ein Bild, das die beiden an den Zustand der Welt erinnerte: „Die Elite trinkt gekühlten Weißwein, während mehr und mehr Menschen Wasser fehlt.“

Da Letztere nicht mit Unterstützung der Politik rechnen können, organisierten sie sich selbst. Und richteten „selbstverwaltete“ Wasserquellen ein, die offenbar wesentlich besser funktionieren. Die Menschen hielten sich an die Regel, nur 25 Liter pro Kopf mitzunehmen, und halfen sich gegenseitig. Eine Erfahrung von Gemeinschaftsgeist, die sich durchs Buch hindurchzieht: „Die Menschen bringen sich in Krisen nicht gegenseitig um, sondern erleben unter Umständen sogar etwas Erfüllendes.“ Die US-Historikerin Rebecca Solnit brachte dieses weltweit beobachtbare Phänomen auf den Begriff „paradise built in hell“.

Mosambik wurde 2019 vom Zyklon „Idai“ schwer getroffen. Hunderttausende verloren Obdach und Äcker, Hunderte ihr Leben. „Wenn es nichts zu essen für die Familie gibt, leidet die Frau am meisten, denn auf ihr lastet ein Großteil des Drucks“, berichtete ihnen eine Klimaaktivistin, die anschließend demonstrieren ging. „Feminismus vor!“, rief die Frauenmenge trotz allem gut gelaunt. Der Kampf gegen den Machismo sei auch ein Kampf gegen die Ursachen der Klimakrise: die Ausbeutung der Erde.

In Großbritannien reisten die beiden zu den Ak­ti­vis­t:in­nen der Transition Towns, zu Wald­be­set­ze­r:in­nen und in ein Camp gegen den Ausbau des Londoner Flughafens Heathrow. Und schließlich landeten sie bei den Sámi, nordnorwegischen Rentierzüchter:innen. Auch diese stehen sprichwörtlich auf immer dünnerem Eis, auch sie bewältigen die Krisen mit Gemeinschaftsgeist.

Sie hätten auf der ganzen Reise erlebt, bilanzieren die beiden, „welche Kraft aus Gemeinschaften entstehen kann. Gemeinschaften machen uns nicht nur stärker, in ihnen liegt auch die Lösung vieler Krisen.“

Theresa Leisgang/Raphael Thelen: „Zwei am Puls der Erde“. Goldmann Verlag, München 2021, 321 Seiten, 16 Euro