Osman Engin Die Coronachroniken
: Der nette Corona-Bandit

Foto: privat

Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Corona. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Was macht man an diesen spannenden Corona-Tagen? Man sitzt den ganzen Tag zu Hause und langweilt sich zu Tode – auch ohne Covid-19. Seit Monaten haben wir keinen Besuch mehr bekommen. Nicht mal der Paketbote lässt sich blicken. Er stellt die Pakete vor die Tür und haut schnell ab.

Umso mehr sind wir jetzt gespannt, wer bei uns um 23:47 Uhr in der Nacht klingelt. Ein junger, gepflegter Mann steht vor der Tür, mit einem großen Mundschutz im Gesicht – was ich sehr sympathisch und vertrauenswürdig finde. Dieser junge Mann denkt an seine Mitmenschen. Er will niemanden unnötig in Gefahr bringen. So ein fürsorglicher Mensch kriegt von mir selbstverständlich alles, was er haben will.

„Geld her! Oder Sie sind tot!“, brüllt er.

Also, er kann von mir schon vieles kriegen – aber kein Geld! Andererseits, wenn die Alternative mein Ableben sein soll, dann könnte ich es mir schon überlegen.

„Nein, Osman! Du gibst diesem Banditen keinen Cent! Keine Angst! Er hat nicht mal eine Waffe“, brüllt meine Frau.

Ich deute mit dem Kopf dezent auf seine riesigen Pranken.

„Und? Wenn schon? Was ist denn schon dabei?“

„Du meinst, es würde dir nichts ausmachen, wenn er dir …“

„Frauen schlägt man nicht!“

„Bitte beruhigen Sie sich! Das habe ich auch gar nicht vor“, schlichtet der Einbrecher unseren nächtlichen Ehestreit.

„Siehst du, Osman? Der Dieb ist ein echter Gentleman. Er prügelt nur Männer.“

„Nein, meine Dame, ich prügele niemanden“, meint der wohlerzogene Verbrecher, der mir wieder fast sympathisch ist.

„Siehst du, Eminanim? Mein erster Eindruck war schon richtig. Der Mann will seinen Mitmenschen nichts antun.“

„Vorausgesetzt, Sie geben mir das Geld, was ich haben will“, meint der nette Bandit.

„Vielleicht könnten wir ja ein wenig handeln. Schließlich haben Sie sich einen Orientalen zum Ausrauben ausgesucht“, versuche ich die Kosten zu drücken.

„Das war nicht meine Absicht. Ich habe im ganzen Block geklingelt, nur Sie haben aufgemacht“, entschuldigt er sich.

„Kein Mensch möchte sich Corona ins Haus holen. Die können ja gar nicht wissen, dass Sie kein Corona haben, sonst sind die schon gastfreundlich“, entschuldige ich mich für unsere Nachbarn.

„Ich habe aber Corona“, zischt er drohend.

„Wie bitte?“

„Ich habe Corona. Mir macht es nichts aus. Ich bin jung. Aber Sie alter Knacker würden auf der Stelle tot umfallen, wenn ich Sie anhuste!“

„Sind 1.000 Euro okay für Sie?“, fragt Eminanim mit zittriger Stimme und stellt den ausgefüllten Check vor die Tür ins Treppenhaus.

„Danke, Eminanim“, stammele ich erleichtert.

„Danke, Eminanim“, wiederholt unser netter Bandit genauso erleichtert.