Green Deal der EU: Die Revolution der Eurokraten
Die EU-Kommission hat Vorschläge für den Green Deal präsentiert. Der Kampf um das Ende des fossilen Regimes wird die nächsten Jahre prägen.
Nein, nein, versichert die Mitarbeiterin von EU-Kommissar Frans Timmermans, „der Termin war wirklich reiner Zufall“. Das „Fit for 55“-Paket für den Klimaschutz stellte die EU-Kommission in Brüssel am 14. Juli vor, dem französischen Nationalfeiertag. Dass die Abschlusssitzung der Kommission ausgerechnet an diesem Tag stattfand, ist ein historisch durchaus passender Zufall: Was die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, umringt von sechs KommissarInnen, in dieser Woche präsentierte, ist tatsächlich so etwas wie eine Revolution.
Es ist der Fahrplan für eine grundlegende Neuordnung von Wirtschaft und Politik in Europa. Es ist ein Wagnis, das bereits jetzt viele Gegner hat und eine Vision für eine bessere Zukunft. Es geht um jede Menge ungelöster Probleme und ein deutliches Signal in die Hauptstädte der EU, an den Rest der Welt und vor allem auch an die Börsen und Vorstandsetagen.
Wie es sich für eine Revolution von Eurokraten gehört, beruft sie sich auf Recht und Gesetz: auf das Klimagesetz, vom Europäischen Parlament Ende Juni beschlossen. Und auf die Entscheidung des Ministerrats vom Dezember 2020. Beide haben die neuen Klimaziele der Union zementiert: 55 Prozent weniger Treibhausgase im Jahr 2030 gegenüber 1990 und Klimaneutralität bis 2050.
Beide Zahlen waren in der EU hart umkämpft, wurden von der deutschen Kommissionschefin vor zwei Jahren bei ihrer Bewerbungsrede angestoßen und von der deutschen Kanzlerin in ihrer Ratspräsidentschaft 2020 endgültig durchgesetzt. „Viele der Premiers und Präsidenten haben nicht verstanden, welche Konsequenzen das hat, was sie unterschrieben haben“, sagt ein ehemaliger ranghoher EU-Beamter.
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Seit Mittwoch können sie es nun schwarz auf weiß in den Vorschlägen der Kommission lesen (siehe weiter unten). 12 Gesetze, Verordnungen und Richtlinien der EU sollen geändert werden, um einen der größten Binnenmärkte der Welt mit 445 Millionen EinwohnerInnen fit zu machen für die Herausforderungen der Klimakrise. Das „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ der französischen Revolution heißt jetzt Klimaschutz, Wachstum und Zusammenhalt der EU. „Europa ist der erste Kontinent, der einen umfassenden Rahmen präsentiert, um unsere Ziele zu erreichen“, sagt von der Leyen.
Ausgerechnet die EU, dieses seltsame Gebilde aus Staatenbund, ökonomischem Zweckverband und teilweiser Währungsunion, geteilt und zusammengehalten durch gemeinsame Geschichte und 24 offizielle Sprachen, macht sich nun also auf den Weg zum „ersten klimaneutralen Kontinent“. US-Präsident Joe Biden hat große Pläne für eine klimaneutrale Wirtschaft verkündet, kämpft aber mit seinem Kongress um die Finanzierung. Und China verkündet ein CO2-freies Land für 2060. Aber wie genau das aussehen soll, weiß niemand.
Diese europäische Revolution soll umfassend sein, und alles hängt mit allem zusammen. Es seien „viele Baustellen und Konflikte aufgemacht“ worden, meint Brigitte Knopf, Generalsekretärin des Berliner Thinktanks Mercator Institute on Global Commons and Climate Change. Es drohten Auseinandersetzungen mit Osteuropa über den zweiten Emissionshandel, in der Außenpolitik durch den Grenzausgleich CBAM, mit der Industrie über freie Zuteilung von CO2-Lizenzen, mit den Bauern über die Landwirtschaftsregeln und mit der Autoindustrie über die CO2-Standards. Ihre bange Frage: „Wird die Kommission alle diese Konflikte lösen können?“
Das weiß die Kommission selbst auch noch nicht. Es werde „natürlich verdammt hart, das zu schaffen“, sagt Frans Timmermans. Vizechef der EU-Kommission und zuständig für den Green Deal. Er macht aber auch deutlich, dass die Kommission vom Ziel nicht abrücken wolle. Timmermans weiß, dass der Kampf um die kohlenstofffreie Zukunft Europas jetzt erst anfängt, nachdem er seine Beamten bis zur Erschöpfung durch die Dossiers gehetzt hat.
Auch in der Kommission gab es Streit, manche KollegInnen fühlten sich übergangen, Haushaltskommissar Johannes Hahn widersprach offen den Plänen. Timmermans meinte, es sei „klar, dass es in diesem Paket Dinge gibt, die manche nicht mögen.“ Sie könnten gern eigene Vorschläge machen – aber das Ziel müsse bleiben.
Wie sehr die „Fit for 55“-Ideen aus Brüssel in den europäischen Hauptstädten und im Parlament angenommen werden, wird sich zeigen. Für alle Änderungen braucht die Kommission die Zustimmung von Europäischem Rat und vom Parlament. Im Idealfall dauert das neun Monate. EU-Insider sind skeptisch. „Das wird sich bis Mitte der 20er Jahre hinziehen“, meint ein altgedienter Experte. Doch die Zeit drängt: Wenn das Paket erst 2025 in Kraft tritt, bleiben nur noch 5 Jahre, um die extrem ehrgeizigen Ziele zu erreichen.
Wie viel der Green Deal wie schnell der Umwelt nützt, ist allerdings auch noch unklar. Die Reaktionen der UmweltschützerInnen auf das Paket reichen von „enorm wichtig“ und „wegweisend“ bis „zu vorsichtig“. Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg twitterte, „wenn die EU nicht ihr ‚Fit for 55‘-Paket zerreißt, hat die Welt keine Chance, unter 1,5 Grad Erwärmung zu bleiben.“
Thunberg hatte 2018 mit ihrem Schulstreik, der daraus erwachsenden Welle von „Fridays for Future“-Protesten in ganz Europa und danach mit ihren öffentlichen Auftritten vor der UNO und der EU maßgeblich dazu beigetragen, dass die EU-Wahlen 2019 eine grüne Welle ins EU-Parlament gespült hatten. Und auch von der Leyens „Mondlandungsprojekt“ für einen Green Deal hätte es ohne die Greta-Mania so wohl nicht gegeben.
Sozialdemokrat Timmermans will dafür sorgen, dass bei der grünen Revolution nicht wie sonst immer die Armen unter die Räder geraten. Sein Plan sieht vor, dass ein Viertel der Erlöse aus dem neuen Emissionshandel zu Transport und Gebäuden, immerhin etwa 10 Milliarden jährlich, in einen Klimasozialfonds fließen.
Daraus sollen Hilfen finanziert werden, um bei steigenden Energiepreisen niemanden zu überfordern. Ob die EU-Länder diesen Fonds noch einmal wie geplant um die gleiche Summe aufstocken, ist unklar. Die EU hat auch schon mit dem „Just Transition“-Fonds Milliarden ausgelobt, um Kohleregionen den Ausstieg aus dem dreckigen Brennstoff zu erleichtern. Die offizielle Politik aus Brüssel dazu lautet: „Wir dürfen niemanden zurücklassen.“
Das ist sozial gedacht, aber auch realpolitisch. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fürchtet um seine Wiederwahl im nächsten Jahr, vor allem wenn es zu einem Wiedererstarken der „Gelbwesten“-Proteste von 2018 kommen sollte. Deshalb hat Macron hinter den Kulissen gegen den „kleinen Emissionshandel“ agitiert, heißt es in Brüssel. Es ist eine deutsche Idee, die dem Franzosen schaden könne.
Frankreich aber wird eine entscheidende Rolle spielen im entscheidenden Frühjahr 2022. Denn dann hat das Land den EU-Ratsvorsitz und es finden Präsidentschaftswahlen statt. Wenn Macron den Elysee-Palast an Marine Le Pen verlieren sollte, würde Frankreich seinen Trump-Moment erleben und auch beim Klimaschutz viele europäische Ideen auf den Misthaufen werfen. Dann könnte es mit dem „Fit for 55“-Paket und dem Green Deal schnell vorbei sein. Die europäische Revolution wäre gescheitert.
Eine Auswahl der wichtigsten Neuerungen:
Schnellere Emissionssenkung
Das größte und wirksamste Instrument der EU im Klimaschutz soll noch effektiver werden: Der EU-Emissionshandel (ETS). Er reguliert bisher 41 Prozent aller Treibhausgase in der EU, die insgesamt etwa 4 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr ausstößt, Deutschland etwa 800 Millionen.
Wer in den etwa 11.000 Fabriken und Kraftwerken Europas Kohle, Gas oder Öl verbrennt, muss für jede ausgestoßene Tonne CO2 ein Zertifikat für derzeit etwa 51 Euro kaufen. Seit der Einführung 2005 sind die Emissionen in diesem Bereich um etwa 43 Prozent gesunken – deutlich mehr als die 24 Prozent, die die gesamte EU vorzuweisen hat.
Das soll nun noch schneller gehen. Anders als bei Maßnahmen im Verkehr oder bei Gebäuden sind hier schnell CO2-Reduzierungen durchzusetzen. Bisher senkt die EU die Obergrenze der ETS-Zertifikate jedes Jahr um 2,2 Prozent. Nach den Vorschlägen der Kommission soll sich dieses Tempo verdoppeln, der Faktor auf 4,2 Prozent steigen. Gleichzeitig sollen auf einen Schlag 117 Millionen Zertifikate gelöscht werden.
In der Vergangenheit gab es zu viele, und niedrige Preise verhinderten ein Umschwenken auf saubere Energien. Durch kostenlose Zuteilung von handelbaren Zertifikaten verdienten laut der Umweltgruppe „Carbon Market Watch“ die großen Verschmutzer zwischen 2008 und 2019 ca. 50 Milliarden Euro zusätzlich. Für sie reicht auch die geplante Verschärfung im ETS nicht, um Europa auf das 1,5-Grad-Ziel zu bringen.
Trotzdem werden knappe Zertifikate die Preise steigen lassen und fossile Energien aus dem Markt drängen. Der deutsche Kohleausstieg, der von der „Kohlekommission“ für 2038 datiert wurde, könnte durch höhere Preise im ETS schon 2030 stattfinden.
Der kleine ETS
Hier ist Deutschland Vorbild und Problem. Was bei uns als „Emissionshandel“ für Verkehr und Gebäude seit Januar 2021 gilt, soll ab 2026 auch in der EU kommen: Obergrenzen und CO2-Preise für Benzin, Diesel, Heizöl und Gas.
Dieser „kleine Bruder“ des ETS sieht in Deutschland bis 2025 Preise bis 55 Euro pro Tonne CO2 vor. EU-weit könnte der Preis bis 2030 auf bis zu 200 Euro klettern. Aber das ist so unklar wie die Frage, ob, wann und wie der kleine mit dem großen ETS zusammengeführt wird.
Hier muss sich die EU dringend etwas einfallen lassen. Bei Gebäuden, die 40 Prozent des EU-Energieverbrauchs ausmachen, und beim Verkehr sind die Emissionen in den letzten Jahren gestiegen. Das müssten eigentlich die Mitgliedsstaaten im Rahmen der „Aufgabenteilung“ (ESR) selbst regeln. Nach den Projektionen der Kommission verfehlen die EU-Staaten aber die für sie gesetzten Klimaziele im ESR schon in den nächsten Jahren, wenn der jetzige Trend anhält.
Trotzdem ist die Idee mit dem „kleinen ETS“ durchaus umstritten: Weil hier eine deutsche Kommissionspräsidentin mit CDU-Parteibuch etwas für Europa durchsetzt, was auch in Deutschland vor allem die CDU will. Und auch, weil Frankreich die Rückkehr der „Gelbwesten“-Proteste gegen höhere Spritpreise fürchtet. Dem soll ein „Klimasozialfonds“ entgegenwirken, der das Geld aus dem „kleinen“ ETS – man rechnet mit 40 Milliarden Euro jährlich – zu einem Viertel an die Menschen zurückgibt. Die genaue Finanzierung ist noch unklar.
Die Kommission plant, 72 Milliarden aus EU-Töpfen und noch einmal so viel aus den EU-Ländern über sieben Jahre für arme Haushalte aufzuwenden, die höhere Preise beim Tanken und Heizen besonders treffen. Ein Teil davon soll allerdings bei der EU verbleiben, um Schulden aus der Coronakrise abzubauen.
Zoll für CO2
Die „Festung Europa“ soll es jetzt auch im Green Deal geben: Mit einem „CO2-Grenzausgleich“ (CBAM) will die EU-Kommission an den Außengrenzen Europas einen Aufschlag auf Produkte erheben, die ohne Rücksicht aufs Klima produziert werden.
Damit will Brüssel mehrere Probleme gleichzeitig lösen: die heimische Industrie schützen, die Abwanderung von europäischer Grundstoffindustrie und deren Arbeitsplätzen ins Ausland (Fachbegriff: „Carbon Leakage“, ein CO2-Leck) verhindern und eine erhöhte Klimabelastung durch dreckige Produktion außerhalb der EU unterbinden.
Wer also in Zukunft Strom, Stahl, Zement, Chemieprodukte oder Düngemittel nach Europa einführt, wird CO2-Zertifikate kaufen müssen, die den Preisunterschied zwischen EU-Preisen und dem Ausland ausgleichen. Dafür will die EU eine eigene Behörde gründen. Experten fürchten schon ein Bürokratiemonster.
Ein solcher „Carbon Border Adjustment Mechanism“ hat aber darüber hinaus seine Tücken. Staaten wie China, Indien oder die Türkei protestieren schon, das sei ungerechtfertigter Protektionismus, der ihre billigeren Produkte aus Europa fernhalten solle. Um diesem Vorwurf entgegenzutreten, muss die EU den CBAM so ausgestalten, dass er mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO übereinstimmt.
Und das bedeutet: EU-Unternehmen, die bislang freie Zuteilungen von ETS-Zertifikaten bekommen, um „Carbon Leakage“ zu vermeiden, dürften diese nicht mehr bekommen. Die Kommission überlegt deshalb auch, CBAM langsam einzuführen und die freien Zertifikate bis Mitte der 20er Jahre langsam auslaufen zu lassen.
Dagegen wiederum machen die Industrieverbände Front, die beides wollen: CBAM und freie Zuteilung. Die kostenlosen Lizenzen seien „unter keinen Umständen verhandelbar“, verkündete etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI, ähnlich äußert sich die EU-weite Lobby „Business Europe“.
Für die EU-Kommission ist CBAM kein Protektionismus, sondern ein Anreiz für andere, ebenfalls ein System der CO2-Preise aufzubauen. Am Tag nach der Verkündung des EU-Programms erklärte China immerhin, man werde nun ebenfalls den Emissionshandel einführen.
Mehr Ökotechnik
Drei Viertel aller CO2-Emissionen in Europa kommen aus dem Energiesektor. Dort ist also der größte Hebel, um etwas zu verändern: Wind aus der Nordsee, Biomasse aus Osteuropa, Sonnenstrom und grüner Wasserstoff vom Mittelmeer, so könnte der neue grüne Energiemix in Europa aussehen.
Dafür hat die EU-Kommission den Anteil von Ökotechniken am gesamten Energieverbrauch noch einmal nach oben geschraubt. Bisher kommen nur etwa 15 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Das soll jetzt auf 40 Prozent klettern.
Ein ehrgeiziges Ziel, denn das hieße, vor allem die Stromproduktion aus Windparks und aus Solaranlagen in den nächsten Jahren massiv auszubauen. Auch in der Biomasse liegt europaweit großes Potenzial, bisher kommt aus ihr die Hälfte aller grünen Energie. Hier will die Kommission eine nachhaltige Nutzung verabschieden – eine vermehrte Nutzung von Wäldern für Biomasse soll nicht dazu führen, dass etwa die Ziele bei der Artenvielfalt leiden.
Insgesamt gilt: Die Technik für Wind und Solar ist bereit, das Geld ist da, aber oft gibt es bürokratische Hürden oder Widerstand der Bevölkerung.
Die EU-Regel hat allerdings einen Haken. Sie verpflichtet nur die EU als ganze, nicht etwa einzelne Länder auf bestimmte Quoten für Erneuerbare. Wenn EU-Staaten ihre Kapazitäten nicht ausbauen, kann Brüssel nur auf zwei Dinge hoffen: dass andere Staaten mehr machen. Oder dass die Energieunternehmen in den betreffenden Ländern selbst merken, dass Erneuerbare inzwischen deutlich billiger sind als ihre klimaschädlichen Alternativen.
Vollbremsung für Verbrenner
Diese Meldung machte natürlich Schlagzeilen: EU verbietet ab 2035 den Verbrennungsmotor! In der Tat zieht das „Fit for 55“-Paket der EU-Kommission die Zügel für die Abgasregeln bei Pkw und kleinen Nutzfahrzeugen noch einmal kräftig an. Ihr CO2-Ausstoß muss sich nach den neuen Plänen bis 2030 gegenüber heute um 55 Prozent reduzieren. Und bis 2035 um satte 100 Prozent. Das heißt: Dann dürfen in Europa nur noch Neuwagen zugelassen werden, die keine Treibhausgase ausstoßen.
Das ist eine Vollbremsung für die bisherige Antriebstechnik. Schon bisher sorgten die CO2-Grenzwerte für die Autohersteller in Brüssel immer wieder für Ärger. Denn weil viele Hersteller – mit freundlicher Unterstützung vor allem auch der deutschen Regierung – sich über Jahrzehnte gegen striktere Regeln gewehrt haben, sind die Vorgaben jetzt drastisch. Bisher sollten die Motoren ihren CO2-Ausstoß bis 2030 nur um 37,5 Prozent mindern, jetzt springt diese Anstrengung auf minus 55 Prozent. Autobauer und ihre Dachverbände protestieren schon. Tatsächlich wird es wohl vor allem die Zulieferindustrie treffen und dort Jobs gefährden. Denn E-Autos haben einfachere Motoren und brauchen weniger Wartung als die ausgeklügelten Verbrennungsmotoren, mit denen vor allem die großen deutschen Marken wie BMW und Mercedes bisher ihr Geld verdienen.
Doch die Autohersteller haben die Zeichen der Zeit erkannt. Schon bisher drohten empfindliche Geldbußen, wenn die CO2-Grenzwerte der EU gerissen werden. Und auf den wichtigen Exportmärkten der Zukunft wie China und Kalifornien drohen seit langem Quoten für emissionsfreie Fahrzeuge. „In den letzten Wochen haben etwa ein Dutzend Hersteller in der EU angekündigt, zwischen 2028 und 2035 auf emissionsfreie Produktion umzusteigen“, meinte Kommissionschefin von der Leyen.
Und die Kommission verspricht auch eine Neuregelung der Infrastruktur für alternative Treibstoffe: Die EU-Länder sollen an ihren Fernstraßen mindestens alle 60 Kilometer elektrische Schnellladesäulen errichten, alle 150 Kilometer Tankstellen für Wasserstoff.
CO2-Preise für Luft. und Seefahrt
Die EU will mit einem Skandal Schluss machen, der sich seit Jahrzehnten vor aller Augen abspielt: Während für Verbraucher und Industrie CO2-Preise und Regeln gelten, kann die internationale Luft- und Seefahrt fröhlich und praktisch unreglementiert das Klima ruinieren.
In der Luft und auf See ist bisher kaum jemand zuständig, aber damit ist es wohl vorbei. Schiffstransporte müssen für ihre Passagen jetzt CO2-Lizenzen erwerben – innerhalb der EU vollständig, wer von außen kommt oder rausfährt, immerhin für die Hälfte seines CO2-Ausstoßes. Ähnlich ist es bei den Flugzeugen. Die unterliegen bisher dem ETS, bekommen aber teilweise die Zertifikate umsonst. Das endet nun.
Auch soll in der EU endlich eine Kerosinsteuer erhoben werden. Für den internationalen Flugverkehr sollen die Airlines am Projekt Corsia teilnehmen, das die Airline-Lobby selbst aufbaut. Das aber ist ein extrem weiches Regime, das auch nur den Anstieg der Emissionen durch Ausgleichszahlungen auf null setzen will.
Experten warnen schon lange davor, dass Corsia Greenwashing für die Luftfahrtindustrie betreibt. Dazu sollen neue Verordnungen sicherstellen, dass Schiffe in EU-Häfen sauberen Strom bekommen und ihre dreckigen Diesel nicht am Kai weiterlaufen lassen. Flughäfen werden verpflichtet, dem Kerosin immer mehr Biotreibstoffe beizumischen.
Ändern will die EU auch die Energiebesteuerung in den Mitgliedstaaten. Die bevorzugt Gas, Öl und Kohle und macht Strom teuer. Das müsse umgedreht werden, und Subventionen für Fossile (etwa die Vergünstigung von Diesel) sollen verschwinden. „Einen Preis auf CO2 und die Dekarbonisierung billiger machen“ will Kommissionsvize Frans Timmermans. Der Haken: Brüssel kann nur Mindestsätze festlegen. Über konkrete Energiesteuern entscheiden die Länder unabhängig.
Weniger Energieverschwendung
Auch bei der Vorstellung des „Fit for 55“-Pakets tauchte er wieder auf, der „schlafende Riese Energieeffizienz“. Alle sind sich einig: Wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, braucht es nicht nur mehr Öko-Energie, sondern weniger Energieverschwendung.
Bisher hat die EU ein Ziel von 32,5 Prozent bis 2030 ausgeschrieben – pro Produkteinheit sollen also 32,5 Prozent weniger Energie eingesetzt werden. Die Staaten sind allerdings auf dem Weg, dieses Ziel zu verfehlen. Deshalb erhöht die EU das Ziel auf 40 Prozent im Jahr 2030.
Die Berechnung ist kompliziert, denn es zählen auch Dinge wie der Umstieg auf E-Mobilität, das Design von Produkten oder die Sanierung von Gebäuden dazu. Eine Menge nachgeordneter EU-Vorschriften wie die Ecodesign-Richtlinie sind betroffen.
Die öffentliche Hand in der EU ist selbst ein wichtiger Akteur: 5 bis 10 Prozent des gesamten EU-Energiebedarfs kommen von Behörden, die öffentliche Hand gibt in Europa jedes Jahr 1,8 Billionen Euro für Energie aus, das sind 14 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Kontinents. Hier will die EU-Kommission Geld und Emissionen einsparen: Jedes Jahr sollen 3 Prozent aller öffentlichen Gebäude in der EU energetisch saniert werden. Das soll die Energierechnung senken, den CO2-Ausstoß mindern und gleichzeitig Jobs im Handwerk schaffen.
Drei Prozent Sanierungsrate sind sehr ehrgeizig: Für die deutschen Ziele der Klimaneutralität wünschen sich Experten eine Quotensteigerung auf knapp 2 Prozent – derzeit liegt sie bei etwa 1 Prozent.
Bäume als Müllschlucker
Die englische Abkürzung ist so kompliziert wie das Thema: LULUCF, Landnutzung und Wälder, ist in den Klimabilanzen immer heikel. Wie viel CO2 Wälder, Böden und Moore binden oder freigeben, ist so komplex, dass die Berechnungen aus den offiziellen Klimastatistiken herausgehalten werden.
Jetzt sollen diese natürlichen Systeme in die Rechnung der Kommission einfließen. Bis 2030 sollen die natürlichen „Senken“ jedes Jahr 310 Millionen Tonnen Klimagas speichern. Bisher liegt diese kostenlose Müllschlucker-Funktion der Natur bei etwa 250 Millionen Tonnen. Da muss sich in Wald und Flur also etwas tun. Vor allem, weil der gesamte Sektor Landwirtschaft und Forst schon 2035 klimaneutral sein soll – also ausgeglichene Emissionsbilanzen zwischen den Treibhausgasen aus Düngemitteln, Viehhaltung und industrieller Landwirtschaft einerseits und den Senken andererseits.
KlimaschützerInnen sind alarmiert. Sie fürchten, dass Waldländer wie Polen ihre Emissionen aus Kraftwerken und Autos über ihre Wälder schönrechnen. Aber die Kommission plant, dass sich die „Senkenfunktion“ des Waldes überall erhöhen muss. Bis 2050 will die EU 500 Millionen Tonnen jährlich binden – auch über Biomasse, die verfeuert wird, ihr CO2 abscheidet und speichert, oder über CO2-Waschung aus der Luft (nicht über das umstrittene CCS aus der Industrie).
Intern gibt die Kommission zu, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen, denn Dürre, Schädlinge und die vermehrte Nachfrage nach Holz setzen den Wäldern schwer zu. Ob sie ihre bisherige Funktion als CO2-Speicher halten können, ist unklar. Auch deshalb plant die Kommission, drei Milliarden Bäume neu zu pflanzen.
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