die woche in berlin
: die woche in berlin

Die BVG plant den Test eines digitalisierten Abrechnungsmodells per Smartphone. Ermittlungen um eine dritte Chatgruppe, in der Polizisten rechtsextreme Inhalte tauschen, sorgen für Wirbel. Und ein besetztes Baumhaus in der Wuhlheide ist schnell wieder verschwunden: Eine Gruppe von Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen demonstrierte damit gegen ein geplantes Straßenbauprojekt

Zeitgemäß und hoffentlich auch fair

Testlauf der BVG: Abschied vom klassischen Beförderungstarif?

Alles Neue hat seine Zeit. Vieles setzt sich nicht oder nur mühsam durch, wenn diese Zeit noch nicht gekommen ist. Im Berliner öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) ließ und lässt sich das bei früheren und aktuellen Versuchen beobachten, die Beförderungsdienstleistungen digital und „smart“ abzurechnen, anstatt Papiertickets mit unflexiblen Tarifen zu verkaufen.

Erste Versuche mit sogenanntem „Check-in/Check-out“ an eigens dafür errichteten Säulen gab es schon Ende der Neunziger, sie wurden sang- und klanglos eingestellt. Die Einführung einer elektronisch lesbaren Karte zur Speicherung virtueller Tickets nahm schließlich Jahre in Anspruch, und bis heute gibt es Fahrkarten auf Papier, die GelegenheitskundInnen und TouristInnen zum Abstempeln in Schlitze schieben müssen.

Durch den Siegeszug des Smart­phones ist die „fahrCard“ aus Plastik mittlerweile eigentlich schon wieder obsolet, und auch viele Einzeltickets (oder die Geld sparenden Vierfahrtentickets) werden heute schon per App gekauft und vorgezeigt. Da hätte es eigentlich keine Pandemie für die jüngste Ankündigung der BVG in dieser Woche gebraucht, demnächst einen Testlauf für digitales Check-in/Check-out zu starten. Der Corona-Ausnahmezustand hat diese Entscheidung aber sicher beschleunigt.

Der Mobilitätsforscher Andreas Knie wies im taz-Interview darauf hin: Wer plötzlich die halbe Woche im Home­office verbringt oder wer nicht mehr weiß, ob seine Arbeits- und Einkommenssituation stabil bleiben, braucht flexiblere Angebote als das klassische Monatsticket oder ein Jahres-Abo.

Ob „wir alle“ wirklich schon digital genug sind, um die Bezahlung unserer Mobilität einer selbstständig agierenden App auf dem Smartphone anzuvertrauen, ist allerdings die Frage. Der Sprecher des Fahrgastverbands IGEB, Jens Wieseke, sagt: Es muss auch weiterhin möglich sein, ohne ein modernes Endgerät am Nahverkehr teilzunehmen, sonst greift ein neuer Ausgrenzungsmechanismus.

Sozial ungerecht – auch hier macht Wieseke einen validen Punkt – wird es spätestens dann, wenn der Preis für Mobilität innerhalb Berlins tatsächlich entfernungsabhängig würde. Die technologischen Voraussetzungen dafür werden mit dem Versuch geschaffen. Innerhalb einer Metropole ist es nicht ungewöhnlich und oft auch nur bedingt zu beeinflussen, dass die Entfernung zum Arbeitsplatz 10 oder sogar 20 Kilometer beträgt. Wer hier für längere Reisezeiten auch noch mehr bezahlen müsste, wäre doppelt gestraft. Claudius Prößer

Ein Jahr lang nicht aufs Handy geguckt

Rechtsextreme Chatgruppe in der Polizei wirft Fragen auf

Innerhalb der Berliner Polizei ist in dieser Woche wieder mal eine rechtsextreme Chatgruppe aufgeflogen. Es ist bereits die dritte extrem rechte Polizei-Chatgruppe, die innerhalb von anderthalb Jahren bekannt geworden ist. Das Programm war das Übliche: Volksverhetzung, verfassungsfeindliche Symbole, menschenverachtende und rechtsextreme Inhalte sollen in der Gruppe von zwölf Personen ausgetauscht worden sein. Gegen fünf Po­li­zis­t*in­nen wird wegen des Verdachts auf Volksverhetzung ermittelt. Am Mittwoch kamen bei den Verdächtigten die Kol­le­g*in­nen vorbei, um deren Wohnungen sowie zwei Dienstanschriften zu durchsuchen. Handys und weitere Beweismittel wurden beschlagnahmt.

Der Fall zeigt besonders deutlich: Es braucht einen Untersuchungsausschuss, um Nazistrukturen in Sicherheitsbehörden aufzuklären. In diesem Fall kann man sogar eine direkte Linie ziehen von den militanten Neonazis der Neuköllner Anschlagsserie zur jetzt aufgeflogenen Chatgruppe in der Polizei. Denn Mitglied in dem Chat soll laut Polizeikreisen auch der Polizist Detlef M. sein.

Gegen M. wurde bereits zuvor wegen Geheimnisverrats ermittelt: Der Polizist ist AfD-Mitglied und war offenbar „Sicherheitsbeauftragter“ im Bezirksverband Neukölln. Er soll kurz nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz 2016 interne Polizeiinformationen in einem Telegram-Chat mit AfDle­r*in­nen geteilt haben. In dieser Gruppe war auch Tilo P., damaliges AfD-Mitglied und einer der Hauptverdächtigen der Neuköllner Anschlagsserie. Das während der Ermittlungen beschlagnahmte Telefon von P. hat dafür gesorgt, dass M. aufflog.

Die Neuköllner Anschlagsserie wurde immer wieder von fragwürdigen Ermittlungsumständen überschattet. Die Betroffenen sprechen offenbar nicht zu Unrecht von einem strukturellen Problem in der Polizei. Entsprechend lang fordern sie bereits Aufklärung und einen Untersuchungsausschuss. Es hieß stets, die Aufklärung werde mit “allerhöchster Priorität“ vorangetrieben.

Wie groß dann diese Priorität tatsächlich ist, zeigt auch der aktuelle Fall: Die Wohnung des Polizisten M. wurde bereits im April 2020 durchsucht. Dabei beschlagnahmte die Polizei auch sein Handy, auf dem sich die nun bekannt gewordene Chatgruppe befunden haben soll. Zwei Sonderermittlungsgruppen zum Neukölln-Komplex wollen dabei in der Zwischenzeit keine Hinweise auf rechte Chatgruppen oder Netzwerke in der Polizei gefunden haben. Das Handy des Polizisten, der nachweislich im Kontakt mit einem der Hauptverdächtigen der Anschlagsserie stand, haben sie dabei entweder ignoriert oder erst ein Jahr später ausgewertet – hohe Priorität geht anders.

Das Umfeld und die Beziehungen zwischen diesen Po­li­zis­t*in­nen und anderen fragwürdigen Vorgängen innerhalb der Sicherheitsbehörden müssen ausgeleuchtet werden. Weil die Polizei offenbar keine Lust darauf hat, braucht es externe Aufklärung: Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zu Neonazi-Strukturen in Sicherheitsbehörden muss in der nächsten Legislaturperiode kommen. Gareth Joswig

Der Fall zeigt besonders deutlich: Es braucht einen Untersuchungs­ausschuss, um Nazistrukturen in Sicherheits­behörden aufzuklären

Gareth Joswig über eine nun ans Licht gekommene rechtsextrem Chatgruppe in Polizeikreisen

Die Infantilisierung des Protests

Kurze Baumbesetzung in der Wuhlheide

Gerne hätte man gehört, was denn der BUND oder der Nabu dazu sagen. Oder die Grünen, die in Berlin für die Verkehrspolitik zuständig sind.

Wuhli bleibt. So lautete der Slogan einiger nichtbinärer Menschen, die am Dienstag in der Wuhlheide ein Baumhaus gezimmert und erklommen haben. Sie gaben vor, damit gegen die Tangentiale Verbindung Ost (TVO) zu protestieren, die von der Wuhlheide bis zur Märkischen Allee führen und das Köpenicker Waldgebiet durchschneiden soll.

Was die politische Ernsthaftigkeit der Aktion angeht, sind aber einige Fragezeichen angebracht.

Einer der Besetzenden, der sich den Fantasienamen „Spinne“ gegeben hat, hat die Ortswahl so begründet: „Wir haben uns auch im Bereich der A 100 umgesehen, aber da gab es keinen schönen Ort. Hier spürt man dagegen, dass man in der Natur ist.“ Auch Wildschweine hätten sie am ersten Tag schon gesichtet. Die Gruppe nannte sich Queer_wuhl_ant:is.

Doch nicht die Afrikanische Schweinepest, die bestimmt auch nicht vor den Toren Berlins halt machen wird, hat den Protest beendet, sondern das Auftauchen eines Polizeiautos. Die Polizisten stellten fest, dass das Baumhaus leer ist. Wuhli blieb nicht, Wuhli machte sich aus dem Staub.

Über die Infantilisierung solcher Protestaktionen könnte man noch schmunzeln. Schwerer wiegt da schon die Art und Weise, wie die Besetzenden versucht haben, symbolisches Kapital aus ihrem Baumhaus zu schlagen. Ihren Protest nennen Spinne, Libelle und Co einen explizit queeren. Während arme Menschen besonders vom Klimawandel betroffen seien, seien queere Menschen noch immer nicht gleichberechtigt. „Beide Themen stehen für Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft“, sagte Libelle unserem taz-Reporter.

Spätestens an dieser Stelle hätte man nicht nur gerne erfahren, wie Nabu und BUND und die grüne Verkehrssenatorin zum Protest in der Wuhlheide standen. Interessant wäre auch gewesen, ob sie das queere Labeln einer Baumbesetzung nicht als eine Art von kultureller Aneignung empfunden hätten, die vom jungen, woken Milieu ja eigentlich abgelehnt wird. Oder neutraler formuliert: Wollten Spinne und Libelle eigentlich auf sich und ihr Queersein aufmerksam machen oder wollten sie die TVO verhindern?

Dem Protest gegen die TVO könnte die queere Truppe womöglich einen Bärendienst erwiesen haben. SPD, Linke und Grüne mit einem fragwürdigen Schnellstraßenprojekt zu konfrontieren, wäre eine wichtige Angelegenheit gewesen. Nun ist sie erst mal vertan. Uwe Rada