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Fast eine Passion

Mit etwas barockem Pathos: Simon McBurney und Annabel Arden haben „Michael Kohlhaas“ von Kleist mit Liebe zur Sprache an der Schaubühne inszeniert

Bewegung der Seelen und der Körper: Renato Schuch, Genija Rykova, Robert Beye, Mo­ritz Gott­wald re­zi­tie­ren „Michael Kohlhaas“ Fotos: Gianmarco Bresadola

Von Katrin Bettina Müller

Die Schaubühne hat beschlossen, im Juli weiterzuspielen und zwei Premieren aus der verlorenen Spielzeit nachzuholen. Als nicht gespielt und nur geprobt werden durfte, traf sich das Regieteam Simon McBurney und Annabel Arden mit den Schauspielern Robert Beyer, Moritz Gottwald, Laurenz Laufenberg, David Ruland, Genija Rykova und Renato Schuch, um mit Kleists Erzählung „Michael Kohlhaas“ zu arbeiten. Es entstand eine Inszenierung, die tief durchtränkt ist vom gemeinsamen Erleben des Textes, von der Begeisterung für die Kraft und Musikalität der Sprache von Heinrich von Kleist. Man kann sich den Probenraum als eine Insel der Konzentration vorstellen mitten in einer zerfaserten und leerlaufenden Zeit und als Ort einer Gemeinsamkeit, wie sie außerhalb dieses professionellen Kontextes eben nicht mehr erfahren werden konnte. Kleist als Rettung vor dem Gefühl der Sinnlosigkeit.

Vielleicht hat die Inszenierung, die am Donnerstag zur Premiere kam, auch deshalb was von einer Messe für den Dichter. Dankbarkeit für eine Sprache, in der man ankern kann. Mit dem Schwung ihrer Satzmelodien läuft man lesend oder zuhörend in eine andere Welt hinein, die schon nach wenigen Zeilen dramatisch wird. Unrecht geschieht, ein Junker betrügt einen Roßhändler. Empörung treibt den Herzschlag hoch.

Sechs Lesepulte und Mikrofone sind auf der Bühne aufgereiht. Schon bei den ersten Sätzen fliegen die Worte von Mund zu Mund, ein geteiltes Erzählen, wie auf einem mittelalterlichen Markt. Von der gerechten Empörung zur Rache, die kein Maß mehr kennt, erstreckt sich in der ersten Hälfte der Inszenierung ein großer Spannungsbogen. Das Bühnensetting ist karg, aber eine akustische Kulisse aus Situationen konkretisierenden Geräuschen sorgt für kleine Überraschungsmomente. Mit ihren Schuhabsätzen übernehmen alle den Hufschlag der Pferde, mit Perücken schlüpfen sie sekundenschnell in die Rollen der Junker und Kurfürsten und auch von Martin Luther, die Kohlhaas in seinem Streit begegnen.

Dieses skizzierende Spiel in großer Geschwindigkeit macht Spaß und packt

Dieses skizzierende Spiel in großer Geschwindigkeit macht Spaß. Und es wird zum Thriller, als Kohlhaas, dessen anfängliche Hoffnung auf Gerechtigkeit vor Gericht zerschlagen und er gedemütigt wird, sich auf einen Feldzug gegen den Junker begibt, erst mit 7 Knechten, später mit mehr als 100 Gefolgsleuten. Sie brennen die Städte nieder, in denen der verfolgte Junker Schutz sucht. Das alles wegen zwei fast verhungerter Pferde und eines verprügelten Knechts.

Gelegentlich unterbrechen Choräle aus dem Off das Spiel, die Bewegungssprache der Schauspieler selbst nimmt, zudem noch von Kameras vergrößert, etwas vom Pathos des Barock auf. Ein mitreißender Gefühlsüberschwang, der das Leiden Kohlhaas’schon zur Passion überhöht.

So packend diese Geschichte von Rebellion und Selbstjustiz ist, sie stellt die Frage nach den Mitteln der Gewalt und ihrer Legitimität. Die Inszenierung von Simon McBurney und Annabel Arden aber bleibt dicht an den Figuren und geht in keine Distanz zum Text. Parallelen zu linken und rechten Rebellionen der Gegenwart werden nicht berührt.

Bis zur Mitte des knapp zweistündigen Abends etwa vermisst man trotzdem wenig. Dann allerdings folgt nach Kohlhaas’Kriegszug, in den inzwischen Brandenburg, Sachsen und Polen verwickelt sind, eine lange Erzählsequenz, in der es um ein Amulett, einen geheimnisvollen Zettel und eine unheilvolle Prophezeiung geht, die den Kurfürsten von Sachsen betrifft. Mit ihr hat Kohlhaas plötzlich ein Mittel der Macht in der Hand, er könnte in Verhandlungen treten. Inzwischen aber ist er so sehr mit seiner Rolle als Opfer und Märtyrer verwachsen, dass er sich lieber hinrichten lässt.

Für einen Moment drängen sich die Schauspieler um Michael Kohlhaas (Renato Schuch) als seine Kinder

Obwohl es im zweiten Teil machtpolitisch um viel mehr geht, Kohlhaas nur noch ein Bauer auf dem Schachbrett der Kurfürsten und Könige ist, kann die Erzählung auf der Bühne die Spannung nicht mehr halten. Man ist ihn auch ein wenig leid, diesen Kohlhaas, wie er sich nun als Stellvertreter des Erzengels Michaels auf Erden inszeniert. Seine kompromisslose Selbstgerechtigkeit geht einem allmählich auf die Nerven.

Das Theater, man hat es in den langen Monaten, als die Häuser wegen der Gefahr der Ansteckung nicht spielen durften, vermisst. Jetzt geht es wieder, da stellt sich heraus, dass sich das Bild vom Theater in seiner Abwesenheit auch ein wenig verklärt hat. Man hatte fast vergessen, ja, es kann auch langweilig werden. Nicht sofort, aber irgendwann dann doch. Wer die Leidenschaft will, muss auch das aushalten, das muss man jetzt wieder lernen.

wieder am 4. und 6.–10. Juli Uhr an der Schaubühne

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