corona in hamburg
: „Vertrauen intelligent einsetzen“

Foto: privat

Marco Meyer35 , ist Philosoph an der Uni Hamburg und forscht unter anderem zur Angewandten Erkenntnis­theorie und „Digital Humanities“.

Interview Pascal Luh

taz: Herr Meyer, haben Sie schon mal an etwas geglaubt, was sich später als Mythos herausgestellt hat?

Marco Meyer: Ja, ich war mit 14 Trotzkist. Ich war in einer so richtigen trotzkistischen Sekte und vollkommen vernagelt, total abgeschottet von Argumenten anderer. Ich kann mich da gut einfühlen. Wenn jemand irgendetwas anzubieten hatte, was nicht in mein Weltbild gepasst hatte, habe ich das ignoriert.

Welche Eigenschaften machen einen für Verschwörungsglaube anfällig?

Wir haben vor allem zwei Eigenschaften identifiziert: Gleichgültigkeit gegenüber Fakten, also das sind Leute, die sagen: Eigentlich interessiert mich nicht so richtig, warum die Sachen sind, wie sie sind. Auf der anderen Seite gibt es eine gewisse Rigidität oder eine Starrheit, was die eigenen Überzeugungen angeht. Also ich hab mich mal von irgendwas überzeugt und da bleibe ich jetzt dabei. Und wenn Fakten auftauchen, die nicht dazu passen, versuche ich, die wegzuerklären, loszuwerden, zu ignorieren oder zu leugnen.

Wie schützt man sich vor Falschmeldungen?

Da gibt es drei Sachen, die wichtig sind. Das Erste ist, sich so oft wie möglich zu fragen: Warum? Die Sachen nicht einfach hinzunehmen, sondern sich zu fragen: Ist das plausibel? Also die Gegenprobe anzustellen. Wenn ich irgendwo online etwas lese, was ich interessant finde, erst mal gucken: Gibt es das noch woanders? Ist das nur eine Online-Quelle, wo ich keinen Autor erkennen kann? Dann sollte ich skeptisch werden. Das Dritte ist, sich immer wieder zu fragen: Könnte es nicht sein, dass ich falsch liege? In dem Moment, in dem man sich einmal diese Frage gestellt hat, ist man offen dafür, auch seine Haltung zu verändern.

Heißt denn, skeptisch zu sein, auch, mehr Misstrauen zu haben?

Alles, was wir wissen, wissen wir, weil wir anderen vertrauen. Wir sind abhängig von anderen Menschen, wenn wir irgendwas wissen wollen. Die Frage ist: Wie können wir unser Vertrauen intelligent einsetzen, wie können wir besonders gut unterscheiden zwischen Quellen und Personen, die vertrauenswürdig sind und solchen, die es nicht sind? Auch Institutionen spielen dabei eine Rolle. Es ist wichtig, das Institutionen sich vertrauenswürdig verhalten und ihr Vertrauen niemals enttäuschen. Das ist nicht in jedem Fall gut gelaufen in der Coronakrise.