berliner szenen Geschlossen

Exotischer Konsalik

Trotz Hitzewelle entschlossen, die Ausstellung mit israelischer Kunst im Gropius-Bau zu besuchen. Es wäre leichter, wenn einen die Sommerstimmung nicht so depressiv machen würde. Zumal man ja auch schon im Winter immer depressiv ist. Unterwegs ein Eis gekauft – schließlich muss man nicht mehr die Eltern um Erlaubnis fragen. Teure Motorräder stehen vor dem Berliner Landtag. Ob die den Abgeordneten gehören? Und ob sie dazu dienen, schnell zur Arbeit zu kommen, oder doch eher schnell wieder zu Hause zu sein?

Der Gropius-Bau hat zu. Dienstag ist Ruhetag, wie mir in dem Moment wieder einfällt. Man rüttelt an der Tür und überlegt, wann man das letzte Mal an einer verschlossenen Tür gerüttelt hat. Ein peinliches Gefühl, dabei beobachtet zu werden, wie man irgendwo nicht hineinkommt. Dabei könnte es doch auch als stolzer Akt der Auflehnung gelten, demonstrativ Einlass zu begehren. Der Plan für heute ist jedenfalls gescheitert. Was jetzt? Einfach zurückfahren? Aber dafür war es zu anstrengend herzukommen. Zum Holocaust-Mahnmal gehen? Wo ist das noch?

Auswärtige Schulklassen lagern erschöpft im Schatten der Topographie des Terrors. Ob sie sich Berlin so vorgestellt haben? Ältere Touristenehepaare in bequemen Turnschuhen grasen eine europäische Hauptstadt ab. Rentner beugen die Köpfe über Stadtpläne und treffen Entscheidungen. Vor der Treuhand kommt mir ein Mann mit Turban entgegen, und ich versuche, ihn so anzusehen, dass er nicht das Gefühl bekommt aufzufallen. In der U-Bahn liest ein Mädchen einen Roman von Konsalik, und ich überlege, ob eine Reise in ihre Welt für mich nicht viel exotischer wäre als die nach Rumänien, die ich gestern gebucht habe.

JOCHEN SCHMIDT