Feilschen um jeden Hartz-Euro

Viele Hartz-IV-Betroffene fühlen sich schikaniert, zum Beispiel eine Lichtenbergerin. Sie bekam jetzt Recht vor dem Sozialgericht, weil sie zu wenig Geld vom Amt erhält

Wer sich mit Arbeitslosen in Job-Centern unterhält, stellt fest: Viele Betroffene fühlen sich von der Behörde schikaniert, die das durch Hartz IV eingeführte Arbeitslosengeld II auszahlt. Auch Katarina Biermann (Name geändert). Seit Monaten bekommt sie zu wenig Geld vom Amt – obwohl ihr mehr zusteht, wie das Berliner Sozialgericht jetzt feststellte.

Im Oktober 2004 machte sich Biermann als Ich-AG mit einem Spezialitätengeschäft im Einzelhandel selbstständig. Die allein erziehende Mutter zweier Kinder kann aber deren Unterhalt nicht finanzieren, da ihr Geschäft noch Verluste macht und der Vater keinen Unterhalt zahlt. Biermann beantragte deshalb Hilfen zur Grundsicherung ihrer Familie beim Job-Center Lichtenberg. „Damit begannen die Schikanen“, sagt sie.

Zunächst schien alles glatt zu gehen. Im Januar dieses Jahres beantragte Biermann zusätzlich zur Ich-AG-Unterstützung auch Sozialgeld für die Familie, das bis März bewilligt wurde. Im April habe es dann auf dem Amt geheißen, ihr Existenzgründungszuschuss müsse als Einkommen für den Lebensunterhalt angerechnet werden, sagt sie.

Einen Bescheid über die Kürzung, gegen den man Widerspruch einlegen kann, hat Biermann nach eigener Aussage bis heute nicht erhalten – trotz mehrerer Anfragen. Dass ihr Existenzgründungszuschuss angerechnet werde, ergebe sich aus den jetzigen Überweisungen des Amtes. Biermann: „Meine Familie kriegt seit April 600 Euro im Monat zu wenig.“

Biermann sah sich schließlich gezwungen, in einem Eilverfahren das Sozialgericht anzurufen. Ende Juni erließ das Gericht eine einstweilige Anordnung, die der taz vorliegt. Damit wird das Job-Center verpflichtet, „den Antragstellern ab dem 1. April 2005 bis zum 30. September 2005 (…) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ohne Anrechnung des Existenzgründungszuschusses zu gewähren“. Zweckbestimmte Einnahmen seien nicht als Einkommen für den Lebensunterhalt anzurechnen, begründet das Gericht.

Bislang habe dieser Gerichtsbeschluss noch keine Wirkung gezeigt, so Biermann. Deshalb habe ihr Rechtsbeistand, der Friedrichshainer Anwalt Kai Polzin, jetzt dafür sorgen müssen, dass ein Gerichtsvollzieher den Beschluss dem Job-Center zustelle – eine Voraussetzung für Zwangsmaßnahmen.

Generell seien Zahlungen nach SGB II und Ich-AG-Förderungen nicht ausgeschlossen, sagte gestern die Geschäftsführerin des Lichtenberger Job-Centers, Hannelore Mouton. „Jeder Einzelfall muss differenziert betrachtet werden.“ Würden Leistungen ohne Bescheide gekürzt, sei dies ein Beschwerdegrund.

Biermann dazu: „Leider haben weder meine Beschwerde noch der Gerichtsbeschluss bislang zu einer Reaktion geführt.“

RICHARD ROTHER